nd-aktuell.de / 03.11.2018 / Kultur / Seite 9

Ein böser Wahn

Das Identitäre bekämpfen.

Thomas Blum

Magst du Juden?» Mit dieser Frage eröffnet der Komiker Oliver Polak sein Buch. Es ist eine Frage, die sich nur beantworten lässt, wenn man die darin stillschweigend enthaltene Zwangsvorstellung teilt, dass Juden ein homogenes, wahlweise abzulehnendes oder zu befürwortendes Kollektiv seien. Wenn man also dem Irrglauben anheimgefallen ist, dass es so etwas gibt wie «die Juden». Schon in einer solchen Frage also, zeigt Polak, steckt der ganze Wahnsinn. Einige Seiten weiter fragt der Autor: «Findest du Juden sympathisch?» Hm. Soll man da nun eher mit Ja antworten oder mit Nein? Wer mit Nein antwortet, dem ist die homogen gedachte Gruppe «die Juden» unsympathisch, und die Annahme, man habe es mit einem Antisemiten zu tun, liegt nicht allzu fern, um es einmal vorsichtig zu formulieren. Doch auch wer mit Ja antwortet, teilt offenbar den antisemitischen Wahn, «die Juden» seien eine verschworene Gemeinschaft, die keine Individuen kennt und deren Mitglieder vermeintlich identische Charaktereigenschaften und Merkmale haben und sich über eine Art gemeinsamen Willen definieren. Polak antwortet auf die von ihm selbst gestellte Frage wie folgt: «Wenn deine Antwort auf die Frage nicht ›Mir egal‹ ist, dann stimmt etwas nicht mit dir.» Recht hat er. Doch das Denken in identitären Kategorien («Wir Deutsche») und ein tiefes Misstrauen gegenüber dem sich nicht zwingend als Bestandteil und Mitläufer einer Horde begreifenden Individuum sind gute alte deutsche Traditionen.

Oliver Polak, jüdischer Deutscher, aufgewachsen in einer emsländischen Kleinstadt, macht seit seiner Kindheit jene Erfahrungen, die Juden und Jüdinnen hierzulande machen: Als Kind muss er sich vom Vater eines Schulfreundes anhören, dass «die Juden Jesus umgebracht» haben. Auf dem Schulhof wird er bespuckt, auf der Kirmes wegen seines Jüdischseins angepöbelt und körperlich angegangen. Er wird von Taxifahrern behelligt, die ihm erklären, dass die Welt von «den Juden» beherrscht werde, und eine Kulturveranstalterin teilt ihm mit, «dass der Hitler recht hatte mit allem». Von Deutschrappern wird Polak für reich gehalten, weil, wie sie ihm erklären, «Juden meistens reich sind». Selbst bei einem Blick in den altehrwürdigen Duden muss er erstaunt feststellen, dass dort das Wort «israelkritisch» eingetragen ist, die Wörter «Saudi-Arabien-kritisch» und «Boko-Haram-kritisch» aber wundersamerweise fehlen.

Und wenn Polak heute als Gast in eine deutsche Talkshow eingeladen wird, wird er angekündigt mit den Worten, er käme «in unsere Show, da der israelische Geheimdienst uns dazu gezwungen hat». Ist das komisch? Ist eine solche Bemerkung eine gelungene satirische Anspielung auf die unter antisemitischen Verschwörungstheoretikern verbreitete Wahnvorstellung, Israel lenke im Verborgenen die Geschicke der Welt? Oder reproduziert eine solche Bemerkung nur das antisemitische Klischee vom mächtigen, die Medien kontrollierenden Juden?

Schon Polaks Mitteilung an die anderen, er sei Jude, sorgt stets zuverlässig dafür, dass er in den Augen seines Gegenübers nichts anderes mehr ist als ebendies: der Jude. Seine Persönlichkeit ist plötzlich ausgelöscht, und er wird umgehend zu einer Figur, die nur noch aus Klischees zusammengesetzt ist und deren identitäre Zugehörigkeit zu einem imaginären Kollektiv («die Juden») festgeschrieben ist.

Oliver Polak: Gegen Judenhass, Suhrkamp-Verlag, 128 S., brosch., 8 €.