Trotz guter wirtschaftlicher Lage und niedriger Arbeitslosigkeit ändert sich nichts an der ungleichen Einkommensverteilung in Deutschland. Im Gegenteil: Armut nimmt zu und verfestigt sich sogar, insbesondere in Ostdeutschland, warnt die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung in ihrem aktuellen Verteilungsbericht. In den neuen Bundesländern sind demnach sechsmal so viele Menschen wie in Westdeutschland dauerhaft, also über mehr als fünf Jahre, einkommensarm. Dauerhaft hohe Einkommen beziehen hingegen vor allem westdeutsche Männer.
Seit 1990 nimmt die Armutsquote in Deutschland zu. Waren damals elf Prozent aller Menschen arm, sind es 2015 fast 16,8 Prozent. Zuletzt ging der Anstieg vor allem auf Flüchtlinge zurück. Fast zwei Millionen Menschen leben dauerhaft in »strenger« Armut - sie haben nicht einmal die Hälfte des mittleren Einkommens zur Verfügung.
Nach unten fallen viele, nach oben schaffen es nur wenige. Allerdings ist auch am anderen Ende der Einkommensskala ein Zuwachs zu beobachten, wenngleich weniger markant: Gab es Anfang der 1990er Jahre 5,6 Prozent Vielverdiener, waren es 25 Jahre später 7,5 Prozent, nach einem Höchststand von 8,3 Prozent im Jahr 2014.
Dorothee Spannagel, Autorin der Studie, warnte angesichts dieser Ergebnisse vor einer gefährlichen Polarisierung der Gesellschaft. »Die Ränder werden größer und die Lebenswelten von Armen, Mittelschicht und Reichen fallen immer weiter auseinander.« Mit anderen Worten: Die soziale Spaltung vertieft sich.
Als arm gilt ein Haushalt, der weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung hat. Zahlen gibt es bislang bis zum Jahr 2015, damals lag die Armutsgrenze für Singles bei 12 192 Euro netto im Jahr. Zu den Reichen gehört, wer mindestens das Doppelte eines mittleren Einkommens zur Verfügung hat. Demnach lag im Jahr 2015 die Reichtumsgrenze für Alleinstehende bei 40 639 Euro netto. Wer sehr gut verdient, ist in der Regel zusätzlich durch große Vermögen abgesichert. Seit der Aussetzung der Vermögensteuer fehlen jedoch verlässliche Daten, beklagt Spannagel. Reichtum in Deutschland sei in seiner Höhe stark unterschätzt.
Es ist lange her, dass sich an der Verteilung in Westdeutschland etwas grundlegend verschoben hat. Zuletzt sei der Nachkriegsgeneration der soziale Aufstieg gelungen, so die Ungleichheitsforscherin. Doch das Gründungsversprechen der Bundesrepublik - den Kindern wird es besser gehen - werde nicht mehr eingelöst. Der »soziale Fahrstuhl« bringe immer weniger Menschen nach oben.
Schutz vor Armut bieten der Studie zufolge tariflich abgesicherte Vollzeitstellen, Haushaltseinkommen, die nicht nur an einer Person hängen, und ein hoher Bildungsabschluss. Daraus ergeben sich auch die politischen Ansatzpunkte, um die soziale Mobilität zu erhöhen.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1105065.reichtum-und-armut-fahrstuhl-nach-unten.html