nd-aktuell.de / 24.11.2018 / Politik / Seite 18

Held der Zwischentöne

Helmut Rasch erinnert die Protestanten an 1918 - am Beispiel Friedrich Schleiermachers

Helmut Rasch

Im Lutherjahr 2017 tönte der Protestantismus, ohne seine »Errungenschaften« sei »die Demokratie nicht möglich gewesen« - so etwa die Medienpfarrerin Lucie Panzer im Deutschlandfunk. Heuer war hingegen Stille. Dabei hätte man diese These anhand des Jubiläums von 1918 prüfen können.

Dann hätte man freilich viel von Reaktion sprechen müssen. Davon, dass sich protestantische Kirchen zwischen 1918 und 1933 schon der republikanischen Fahne verweigerten. Dass sie gegen das »gottlose« Ansinnen kirchenfreier Schulen hetzten. Dass sie als Vorfeldorganisation der Deutschnationalen wirkten - und es gegen all das nur eine schwache interne Opposition gab.

Erinnern können hätte man sich dieses Realprotestantismus auch anhand eines anderen runden Jubiläums: des 250. Geburtstags des Theologen und Philosophen Friedrich Schleiermacher. Dieser hatte nämlich im früheren 19. Jahrhundert viel vorweggenommen, das die kleine demokratische Kirchenopposition um 1918 umtrieb: Als »Vater des Volkskirchengedankens« stand er für Basisorientierung und gegen die Staatskirche - während der Protestantenmainstream 1918 dem »Summepiskopat« nachweinte, also Kaiser und Fürsten als Kirchenoberhäuptern.

Und Schleiermacher vertrat - wenn biografisch auch abnehmend entschieden - die Trennung von Staat und Kirche gerade an Schulen. Die evangelischen Führer von 1918 hingegen peitschten die Massen hiergegen auf, bis nicht nur die entsprechende Verordnung fiel, sondern auch Preußens kirchenkritischer Co-Kultusminister Adolph Hoffmann (USPD) - dröhnend bejubelt von Antidemokraten.

Dass ein solches kombiniertes Schleiermacher- und Revolutionsgedenken unterbleibt, ist eigentlich unverständlich. Schließlich hat sich der Protestantismus nach 1945 sehr rasch und recht kritisch mit seiner Geschichte befasst. Wäre es wirklich so schmerzhaft, sich nun in einem zweiten Schritt zu vergegenwärtigen, dass die »Deutschen Christen« hinter dem Führer kein Betriebsunfall waren, sondern durchaus Konsequenz protestantischer Tradition? Liegt es - platter - daran, dass man den ja bis heute bestehenden Zugriff auf Schulen und Staatsressourcen lieber nicht ansprechen möchte?

An Schleiermacher liegt es jedenfalls kaum. Als Theologe wie Philosoph war er ganz nach dem Geschmack des heute ja tatsächlich liberaldemokratischen deutschen Protestantismus: Den Weltlichen war er zu kirchlich wie den Kirchlichen zu weltlich, den Kosmopoliten zu national wie den Nationalen zu kosmopolitisch und den Reformern zu obrigkeitsnah wie der Obrigkeit oft etwas zu volksbezogen - ein Held der Zwischentöne, wie geschaffen für Margot Käßmann.