Die katalanische Zivilgesellschaft ist mobil. Am Dienstagmorgen versammelten sich in Straßburg vor dem EU-Parlament rund 10 000 Demonstranten, die in der Nacht aus Katalonien angereist waren. Sie hatten sich mit mehr als 80 Bussen und drei Charterflugzeugen auf einen weiten Weg gemacht, um am Dienstag fern der Heimat dagegen zu demonstrieren, dass die Regierung in Madrid, drei gewählte katalanische Unabhängigkeitsbefürworter von der offiziellen Liste der spanischen EU-Abgeordneten strich. Damit können der ehemalige Regionalpräsident Carles Puigdemont und zwei seiner Mitstreiter - Tony Comín und Oriol Junqueras - ihr Amt nicht antreten.
Im Parlament protestierten derweil Abgeordnete wie der Ire Matt Carthy von der Linksfraktion gegen den Ausschluss. Das Mitglied der Sinn-Fein-Partei griff den Parlamentspräsidenten Antonio Tajani scharf an, den er für die Vorgänge verantwortlich machte. »Die Stimme der Katalanen muss zu hören sein«, sagte Carthy. Seine Kollegen hielten Bilder des Exilpräsidenten Carles Puigdemont, des Ex-Ministers Toni Comín und des inhaftierten Chefs der Republikanischen Linken Oriol Junqueras hoch. Tajani habe die »Glaubwürdigkeit des Parlaments« untergraben, »statt für Demokratie und die Menschenrechte einzutreten«, sagte Carthy.
Nach der Sitzung traten Parlamentarier wie Marisa Matias von der Linksfraktion auch aufs Podium vor die Demonstranten. Die Politikerin des portugiesischen Linksblocks wies darauf hin, dass Katalonien für Portugal eine besondere Bedeutung hat, da es seine Freiheit und Unabhängigkeit von Spanien auch den Katalanen verdanke, die 1640 »ihren Preis« dafür bezahlt hätten. »Einst war es ein Felipe und heute ist erneut ein Felipe der Unterdrücker«, sagte sie mit Blick auf den König.
Am Vortag hatte das Gericht der Europäischen Union (EuG), das dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) nachgeordnet ist, einen Eilantrag von Puigdemont und Comín abgewiesen. Darüber wollten die beiden Exilpolitiker erreichen, dass sie ihre Sitze einnehmen können. Gerichtspräsident Marc Jaeger meinte aber, das Europaparlament habe nicht prüfen können, ob die Abgeordneten einen legitimen Anspruch auf ihr Mandat haben, da ihre Namen nicht in der Liste auftauchten, die Spanien ans Europaparlament geschickt hatte. Sie waren mit der Begründung gestrichen worden, sie hätten ihren Amtseid nicht geschworen. Im spanischen Amtsblatt wurden sie dagegen veröffentlicht. Nach Ansicht vieler Juristen hat diese Veröffentlichung Gesetzeskraft.
Im Falle von Junqueras hatte der Oberste Gerichtshof in Madrid untersagt, dass er aus dem Gefängnis ins EU-Parlament gebracht wird, um seinen Eid zu leisten. Bemerkenswert, da ihm kurz zuvor vom selben Gericht gestattet wurde, das Gefängnis zu verlassen, um seinen Schwur im spanischen Parlament zu leisten.
Der EuG verwies auch auf ein in Spanien laufendes Verfahren, in dem geklärt werden soll, ob Abgeordnete überhaupt persönlich schwören müssen. In anderen Fällen war die Leistung des Eids bisher auch über notarielle Dokumente möglich, die Puigdemont und Comín vorgelegt hatten. Der EuG stellte auch fest, eine abschließende Entscheidung, ob Puigdemont und Comin ihr Mandat antreten dürfen, werde zu einem späteren Zeitpunkt gefällt.
Im Fall des inhaftierten Junqueras hat die Verteidigung erreicht, dass der Oberste Gerichtshof die Entscheidung, ob er Immunität genießt, dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) überlässt. Puigdemont und Comín haben das auch beantragt. Sie verfolgten die Vorgänge aus dem deutschen Kehl in der Nähe von Straßburg. Eine Einreise nach Frankreich galt als riskant, weil ein bilaterales Abkommen eine Verhaftung und Auslieferung nach Spanien ermöglichen würde.