Wut zur Freiheit

Nach dem Tod von Sahar Khodayari steigt der Druck auf die FIFA. Frauenrechte im Iran müssen endlich ernst genommen werden.

  • Antje Grabenhorst
  • Lesedauer: 5 Min.

Am Samstag waren viele Stadien in der ganzen Welt blau. Solidaritätsbanner wurden gezeigt. Der Tod von Sahar Khodayari bewegt die Fußballwelt.

Knapp eine Woche ist es her, dass die Iranerin in einem Teheraner Krankenhaus an ihren schweren Verbrennungen verstarb. Zuvor hatte sie sich am 2. September vor dem islamischen Revolutionsgericht selbst in Brand gesteckt - aus Furcht vor einer hohen Gefängnisstrafe. Ende letzten Jahres wollte sie ein Fußballspiel ihres Teams FC Esteghal besuchen und verkleidete sich als Mann, um in das Stadion zu kommen. Frauen ist seit 1979 verboten, Fußballspiele der Männer zu schauen.

Sie wollte nur zum Fußball

Dass sich Frauen im Iran als Männer verkleiden, um in ein Stadion zu gelangen, ist keine Seltenheit, erzählt Zahra von der »Open Stadiums«-Kampagne dem »nd«. Die Initiativen aus iranischen Frauen setzt sich bereits seit 2005 aktiv für eine Aufhebung der Stadionverbote ein. Sie berichtet, das Khodayari bei ihrem ersten Versuch, ins Stadion zu kommen, direkt verhaftet und ins Frauengefängnis Gharchak gebracht worden sei. Damals kam sie ein paar Tage später gegen eine Kaution frei. Ihr Prozess sollte Anfang September beginnen, wurde am Tag selber jedoch kurzfristig verschoben. Trotzdem soll die 30-jährige Khodayari eher zufällig ein Gespräch mitbekommen haben, indem es darum ging, dass sie zwischen sechs Monate und zwei Jahre ins Gefängnis muss. Ihr wurde nicht allein das Vergehen des illegalen Stadionbesuches und somit der Verstoß gegen das Keuschheitsgesetz beziehungsweise die Störung der öffentlichen Ordnung vorgeworfen, sondern zudem Beamtenbeleidigung. Khodayaris Vater gab öffentlich an, dass auch eine bipolare Störung seiner Tochter Einfluss auf ihren Wutausbruch gegenüber den Beamten geführt habe. Das Gericht sei über ihre Krankheit informiert gewesen, habe diese aber ignoriert.

Auch ungeachtet der Krankheit findet es Zahra von »Open Stadiums« legitim, wütend darüber zu sein, dass Frauen im Iran das Recht genommen wird, ihre Leidenschaft und Fußballbegeisterung auszuleben. In einem Interview im Kontext des Ausstellungsprojektes »Fan.Tastic Females«, das 79 weibliche Fußballfans aus 21 Ländern portraitierte, sagte sie: »Für mich als Frauenrechtsaktivistin ist es schmerzhaft, dass einige der Mädchen Jungenkleidung tragen, um ins Stadion gehen zu können. Stellt euch vor, dass jemand die Identität ändern muss, einfach nur um Fußball gucken zu gehen.«

Öffnet die Stadien!

Der Ort sei nichts für Frauen, da sie vor der maskulinen Atmosphäre und dem Anblick halbnackter Männer geschützt werden müsste, so begründen die Mullas das Stadionverbot: Geistliche haben immer noch einen hohen Einfluss auf die Gesetzgebung im Iran und halten trotz vielfachem Protest an dem Verbot fest. Dennoch hat sich in den letzten Jahren etwas bewegt. Daran ist vor allem die »Open Stadiums«-Kampagne und ihr Protest beteiligt gewesen: Sie schrieben beispielsweise Briefe an Sepp Blatter, den ehemaligen FIFA-Präsidenten, baten ihn um Unterstützung und erinnerten den Weltfußballverband immer wieder an seine eigenen Statuten, nach denen es verboten ist, Frauen zu diskriminieren. Zahra fehlt es insgesamt jedoch an einer klareren Haltung und Unterstützung durch die FIFA. Sie meint: »Sie haben uns nicht unterstützt, sie wurden gezwungen, sich zu kümmern und taten nichts Effektives.«

Wir Feiglinge

Nichtsdestotrotz schwappte durch Sahar Khodayaris Tod eine Welle der Solidarität nicht nur durch die Bundesliga, sondern auch die sozialen Medien des Iran. Spieler wie der iranische Nationalspieler Masoud Shojaei sprachen sich entschieden gegen das Stadionverbot für Frauen aus. Khodayaris Verein, der FC Esteghal, veröffentlichte auf Twitter ein Statement und trauert um ihren Fan. Der Verein fragt, was man nun tun könne und beantwortet diese Frage schließlich mit den Worten: »ABSOLUT NICHTS. Wir sind Feiglinge.« Eine ernüchternde Aussage. Aber nicht einmal der iranische Fußballverband FFI könne den eigenen Angaben nach etwas ändern. Dessen Vizepräsidentin Lejla Sufisadeh ließ erst im Juli gegenüber Medien verlauten: »Auch wir wollen, dass Frauen ins Stadion kommen können, aber gleichzeitig müssen wir uns im FFI an die hiesigen islamischen Gesetze und Vorschriften halten«.

Im vergangenen Jahr durften erstmalig etwa hundert Frauen ein Spiel zwischen dem Iran und Bolivien schauen. Während der WM 2018 waren sie zudem bei der Begegnung des Iran gegen Spanien beim Public Viewing im Azadi Freiheitsstadion zugelassen und auch für den 10. Oktober ist angekündigt, dass Frauen das Qualifikationsspiel zwischen dem iranischen Nationalteam und Kambodscha im Stadion sehen dürfen. Ronan Evain, CEO des europäischen Fannetzwerkes »Football Supporters Europe« erklärt, dass es bisher erneut nach einem Zugang für ein paar wenige, ausgewählte Frauen der Elite aussieht. Er und sein Netzwerk unterstützen die »Open Stadiums«-Kampagne seit 2017. Evain stellt gegenüber »nd« heraus: »Der tragische Tod von Sahar Khodayari ist ein unbestrittenes Zeichen, dass die FIFA nicht genug getan hat.«

Der Kampf für Frauenrechte im Fußball ist international

Der Tod von Sahar Khodayari hat viele Fragen aufgeworfen, nach Verantwortlichkeiten, medialen Interessen, der Rolle des Fußballweltverbandes, der Frauenrechte im Iran sowie den Hintergründen des Suizids selbst. Auch wäre es mit der Aufhebung eines Stadionverbotes im Männerfußball nicht getan, da es ebenso in anderen Sportarten Ausschlüsse von Frauen gibt und deren Verbände nachziehen müssten. Susanne Rudolph, Fortuna Düsseldorf-Fan und Mitglied in der Fortuna Fanfrauengruppe Antirasisters sowie des Fannetzwerkes F_in - Frauen im Fußball stellt gegenüber »nd« heraus, dass es nicht nur um die Frauen im Iran ginge: »Natürlich ist die Situation im Iran besonders extrem, aber auch in anderen Ländern oder in deutschen Stadien gibt es indirekte Ausschlüsse, sexistische Abwertungen und übergriffiges Verhalten gegenüber Frauen.« Beispiele dafür sind der pauschale Ausschluss von Frauen aus den ersten zehn Reihen in Rom, womit die Ultragruppe Irriducibili von Lazio Rom vergangenes Jahr von sich reden machte oder auch die Vergewaltigung einer 19-Jährigen in einem Gladbacher Sonderzug im Frühjahr 2018. »Der Kampf für Frauenrechte im Fußball ist für mich international, deswegen ist es nötig, sich gegenseitig zu unterstützen«, betont Rudolph.

Wir könnten Schwestern sein

Zahra ist durch den Tod von Khodayari niedergeschlagen: »Ich war so wütend und hatte einen Nervenzusammenbruch und wollte keinen Fußball mehr sehen. Ich fühle das Feuer in meinem Herzen, und ich habe Schwierigkeiten, über sie zu reden. Wir könnten Schwestern oder enge Freunde sein.« Trotzdem redet sie über ihren Tod und kämpft weiter. Damit das Azadi-Stadion seinem Namen endlich gerecht wird.

Kein Stadionverbot fürs Geschlecht. Fan sein ist ein Menschenrecht. RIP" Solidaritätsaktion von den Fans von Union Berlin.
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