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Die sanfte Revolution

Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans sollen die SPD nach links rücken

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 4 Min.

Nach der Entscheidung der SPD-Basis, dass Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken neue Parteichefs werden sollen, stehen die Sozialdemokraten vor harten internen Auseinandersetzungen. Wichtigstes Thema ist die Zukunft der Großen Koalition. Politiker des konservativen SPD-Flügels wollen einen schnellen Ausstieg aus dem Bündnis unbedingt verhindern. »Mein Ratschlag ist, das Heil nicht in der Flucht aus der Regierung zu suchen, sondern in der Gestaltungskraft der SPD in der Regierung«, sagte der frühere Parteichef Martin Schulz dem »Tagesspiegel«.

Schulz und seine Mitstreiter haben auch den Deutschen Gewerkschaftsbund auf ihrer Seite. »Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans sollten die Regierung in der zweiten Halbzeit nach Kräften unterstützen, um die offenen Projekte aus dem Koalitionsvertrag erfolgreich umzusetzen«, forderte DGB-Chef Reiner Hoffmann gegenüber der »Bild am Sonntag«. Außerdem müssten sie jetzt die SPD programmatisch erneuern, »damit sie wieder die politische Meinungsführerschaft im Land gewinnt«.

Der frühere nordrhein-westfälische Finanzminister Walter-Borjans und die Bundestagsabgeordnete Esken hatten sich in einer Stichwahl, deren Ergebnis am Samstagabend bekannt gegeben wurde, gegen Finanzminister Olaf Scholz und die Brandenburgerin Klara Geywitz durchgesetzt. Das letztgenannte Duo erhielt 45,33 Prozent der Stimmen. Für Walter-Borjans und Esken votierten 53,06 Prozent. Die Wahlbeteiligung lag bei 54,09 Prozent. Scholz will sein Ministeramt trotz dieser Niederlage vorerst behalten, hieß es aus Parteikreisen.

Die Sieger wurden vor allem von Parteilinken unterstützt. In der Bundestagsfraktion sowie unter den Bundesministern der SPD haben sie bislang aber keinen großen Rückhalt. Die Minister Heiko Maas, Christine Lambrecht und Franziska Giffey hatten für die Wahl von Scholz und Geywitz geworben. Auch in der Fraktion dominieren diejenigen, die wenigstens noch bis zum Ende der Legislaturperiode mit der Union zusammenarbeiten wollen. »Die SPD braucht eine Führung, die ihr Selbstvertrauen und Kraft gibt. Eine selbstbewusste Partei ist ein guter Teil einer Regierung«, hatte SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich vor wenigen Wochen gesagt.

Die linke SPD-Bundestagsabgeordnete Hilde Mattheis rief ihre Kollegen nun zur Unterstützung des neuen Führungsteams auf. »Vor dem Bundesparteitag am Wochenende haben wir keine Fraktionssitzung. Danach sind die wichtigen Entscheidungen getroffen worden. Ich erwarte, dass sich dann alle hinter dem neuen Führungsteam versammeln werden«, sagte Mattheis gegenüber »nd«. Für sie sei klar, dass die SPD raus aus der Großen Koalition müsse. »Sonst wird sich die SPD nicht erneuern können«, erklärte die Sozialdemokratin.

Die designierten neuen Parteichefs werden aber erst einmal ausloten, was mit der Union noch möglich ist. Sie streben keine für SPD-Verhältnisse radikale, sondern eine sanfte Revolution an. Esken und Walter-Borjans haben angekündigt, die Koalition nur fortzuführen, wenn es in Nachverhandlungen gelingen sollte, weitere wichtige Projekte der SPD zu vereinbaren. Andernfalls plädieren die beiden Politiker für einen Ausstieg aus dem Bündnis. Beide müssen noch auf dem kommenden Bundesparteitag in Berlin im Amt bestätigt werden. Die künftigen Vorsitzenden wollen die Delegierten auch darüber abstimmen lassen, welche Punkte nun so dringend umgesetzt werden sollten, »dass wir daran auch die Koalitionsfrage stellen«, sagte Walter-Borjans.

Esken und ihr Partner haben unter anderem Forderungen zur Klimapolitik formuliert. Sie wollen dem bereits beschlossenen CO2-Preis eine »Pro-Kopf-Rückzahlung« gegenüberstellen. Durch diese Prämie sollen Bürger entlastet werden, die den CO2-Preis etwa durch höhere Heiz- und Benzinkosten mitbezahlen. Die künftige SPD-Doppelspitze fordert auch, das System der Umlage nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) umzubauen und einen »Investitionsfonds Energiewende« in Milliardenhöhe aufzulegen.

Esken und Walter-Borjans wollen unter anderem die Vermögensteuer wiederbeleben und die Steuern für die höchsten zehn Prozent der Einkommen anheben. Steuern auf kleine und mittlere Einkommen müssten sinken.

In ihrem Programm ist auch eine Stärkung der Tarifbindung vorgesehen, indem Tarifverträge leichter für allgemein verbindlich erklärt werden können. Der Mindestlohn müsse bei mindestens zwölf Euro liegen. Verliert jemand seinen Job, soll sich die Dauer des Arbeitslosengeldbezugs danach richten, wie viele Beitragsjahre der Betroffene vorweisen kann.

Führende Unionspolitiker haben einseitige Nachverhandlungen mit der SPD über den Koalitionsvertrag bisher allerdings ausgeschlossen. CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer will das Bündnis stattdessen mit dem bisherigen Koalitionsvertrag fortsetzen. »Wir stehen zu dieser Koalition auf der Grundlage, die verhandelt ist«, sagte die Verteidigungsministerin am Sonntag bei einem Besuch in Split in Kroatien. Die Entscheidung der SPD-Basis mache aus ihrer Sicht »den Weg frei, zur Sacharbeit zurückzukehren«. So steht etwa das Vermittlungsverfahren zum Klimaschutzpaket der Bundesregierung an, nachdem der Bundesrat wichtige Teile des Pakets gestoppt hat. Kramp-Karrenbauer nannte auch das Gesetz zum Kohleausstieg und viele Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag als künftige Projekte.

Die Grünen gratulierten den Siegern des SPD-Mitgliedervotums freundlich, aber nicht überschwänglich. »Wir wünschen ihnen viel Erfolg und freuen uns auf eine faire, sachliche und konstruktive Zusammenarbeit«, hieß es in einem gemeinsamen Schreiben der Partei- und Fraktionschefs.

In Teilen der LINKEN wächst nun die Hoffnung auf eine baldige Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten im Bund. »Die SPD und das Land brauchen dringend linke Politik statt ideenlosem GroKo-Schlingerkurs«, schrieb Linksparteichef Bernd Riexinger auf Twitter. Seite 3

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