Der griechische Göttervater Zeus soll ein machtbewusstes Wesen gewesen sein. Als seine erste Geliebte Metis mit zwei Kindern von ihm schwanger war, wurde Zeus prophezeit, eine Tochter sei ihm ebenbürtig, ein Sohn werde ihn stürzen. Um dem zu entgehen, verschlang Zeus seine Geliebte samt Nachwuchs. Als ihn daraufhin starke Kopfschmerzen plagten, bat Zeus den göttlichen Schmied Hephaistos, seinen Kopf zu zerschlagen. Hephaistos kam der Bitte nach - was Zeus gut überstand - und heraus kam, gerüstet und mit dem Speer in der Hand, Pallas Athene. Als Ergebnis der ersten und bislang einzigen erfolgreichen Kopfgeburt verkörperte Athene fürderhin den Geist, die Weisheit, die Intelligenz. Verliebt hat sie sich allerdings niemals, dafür war sie vielleicht einfach zu klug.
Bei den Griechen hatten Kopfgeburten einen guten Ruf. »Sokrates, der Sohn einer Hebamme, der in seinen Zwiegesprächen so gut und so leicht und unter so kräftigen Scherzen seine Freunde wohlgestalteter Gedanken entbinden konnte und sie so mit eigenen Kindern versorgte, anstatt wie andere Lehrer ihnen Bastarde aufzuhängen, galt nicht nur als der klügste aller Griechen, sondern auch als einer der tapfersten«, schrieb Bert Brecht.
Heutzutage dagegen sind Kopfgeburten schlecht angesehen. Denn sie entspringen nicht dem Bauch oder der Natur, sondern gelten als etwas bloß Ausgedachtes, etwas Künstliches, das nicht lebensfähig ist. In dem abwertenden »bloß ausgedacht« spiegelt sich ein prinzipielles Misstrauen in die Fähigkeiten des menschlichen Geistes und der Vernunft überhaupt. Dieses Misstrauen hält sich selbst heute, in Zeiten von Nanotechnologie, Raumfahrt und Internet, die ja allesamt weder dem Bauchgefühl noch einem übervollen Herzen entstammen.
So wird der Euro häufig als »Kopfgeburt« beschimpft, als multinationales und daher todgeweihtes Konstrukt politischer Strategen. Ihm gegenüber gestellt werden bodenständige Gelder wie D-Mark, Dollar oder Gulden, die quasi dem Schoß des Mutterlandes entsprungen sind und damit der zweiten Natur des Menschen entsprechen, seiner Nationalität.
Ebenfalls als Kopfgeburten gelten Sozialismus und Kommunismus, deren Scheitern gern damit erklärt wird, dass der »Mensch nun mal nicht so ist« und das auch nicht lernen kann. Der Kapitalismus dagegen passe zur Menschennatur, ihrem Drang nach Konkurrenz, Sieg und Besitz, woran zumindest so viel stimmt, dass sich dieses System tatsächlich niemand ausgedacht hat und es daher kein Kind der Vernunft ist.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1130419.kopfgeburt-bloss-ausgedacht.html