Als ich noch neu in Deutschland war, ging ich oft zum Fußballschauen in Kneipen, gegen die Einsamkeit und um überhaupt mal rausgegangen zu sein. Damals war Fußballschauen noch eine der wenigen einfachen Sachen, die mir Spaß machten. Man konnte etwas unternehmen, ohne unbedingt mit anderen Menschen reden oder sie kennen zu müssen. Und nach dem Spielende verschwand ich immer sofort.
Einmal saß an einem Tisch hinter mir ein alter Mann. Als ich nach dem Abpfiff das Lokal verlassen wollte, fragte er mich plötzlich - unangenehm nuschelig und laut: »Hhhö … Sind Sie Türkin?«
Ich, irritiert, aus der guten Fußballstimmung raus, sagte nur kurz: »nein« und wollte abhauen, doch er fragte mit einem schmatzenden Laut: »Sondern?«
Dass ich niemandem eine Antwort schuldig bin, dass solche Fragen mehr als »nur« Neugier sind, dass es nicht meine Aufgabe ist, jedes rassistische Vorurteil abzubauen, dass die Unwissenheit anderer ebenfalls nicht mein Problem ist: All dies war mir zu jenem Zeitpunkt nicht bewusst. Wie viele naive Neuangekommene dachte ich auch, dass ich jede blöde Frage nett beantworten und alle ständig aufklären sollte. Daher ging das Verhör des alten deutschen Kneipengastes weiter, nachdem ich dummerweise geantwortet hatte: »Iranerin.«
»Aha, Sie sind Iranerin und schauen sich Fußball an! Hmm … Haben Sie Kinder?«
»Nein!«
»Hä, Sie sind Iranerin und haben keine Kinder?«
Immerhin beendete ich das Ganze höflich und verließ das Lokal. Der Abend war versaut, das tröstliche Fußballschauen in Kneipen vergällt.
Jahre später, auf der Pressekonferenz zu einem iranischen Film auf der diesjährigen Berlinale, saß ich genau so selbstverständlich, wie ich an Pressekonferenzen zu italienischen, brasilianischen, US-amerikanischen, französischen und deutschen Filmen teilgenommen hatte. Und auf einmal fragte mich eine Frau dort: »Sind Sie Iranerin?«
Nach solchen Fragen folgt dann immer ein klischeehaftes Gespräch, mal mit schönen, mal mit hässlichen Klischees. Mittlerweile habe ich sogar einige Mustersätze parat. Und ein aufgesetztes Lächeln. Dieses Mal jedoch - aus welcher Tiefe der Erinnerung auf einmal der nuschelnde Kneipenbesucher vor meinen Augen aufblitzte, weiß ich nicht - antwortete ich unwillkürlich: »Warum fragen Sie das?«
»Ach, weil ich den Film so toll fand!«
»Aber was hat das mit mir zu tun? Fragen Sie immer die Menschen zuerst nach ihrer Herkunft, um sich mit ihnen dann über einen Film zu unterhalten?«
Die Frau schien irritiert zu sein. Ich hingegen war sehr erleichtert. Dass nun ausgerechnet diese Dame auf dem Filmfestival den Druck der jahrelang ungewollten blöden Konversationen abbekommen sollte, hat sie vielleicht nicht verdient. Aber hey, jetzt bin ich den Albtraum vom nuschelnden Kneipenmann endlich los!
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1135370.der-nuschler.html