Allein schon für solche Textzeilen muss man das neue Werk von Fiona Apple feiern: »I grew up in the shoes they told me I could fill/Shoes that were not made for running up that hill/And I need to run up that hill, I need to run up that hill«. Es geht auf »Fetch the Bolt Cutters«, dem fünften Album der Komponistin und Sängerin (und dem ersten nach acht Jahren Pause), immer wieder um den Kampf mit der Welt, in der man so, wie man sein will, nicht sein kann. Weil diese Welt patriarchal eingerichtet ist, unter anderem. Darum also, die Mechanismen loszuwerden, mit denen diese Welt einen kleinmacht.
Der Titelsong handelt von der frühen Karriere Apples, lässt sich aber wie eigentlich jedes gelungene Singer-Songwriter-Stück nicht nur autobiografisch, sondern auch universell verstehen. »Running up that hill« verweist auf den gleichnamigen Song von Kate Bush und damit auf die lange Reihe an Sängerinnen, Komponistinnen und Musikerinnen, die mit Zuschreibungen konfrontiert waren, die enger und keineswegs so frei wählbar waren wie für das männliche Personal des Popzirkus. Apples Lied funktioniert aber auch als Beschreibung von Erfahrungen, über denen man eigentlich stehen will, die einen aber weiter quälen: »All the VIPs and PYTs and wannabes/Afraid of not being your friend/And I’ve always been too smart for that/But you know what? My heart was not/I took it like a kid, you see/The cool kids voted to get rid of me«.
»You know what? My heart was not« ist eine der vielen pointierten, klugen Formulierungen auf diesem Album. Die Kämpfe und Konflikte - mit sich selbst, mit anderen - die Apple aufdröselt und exorziert, sind auch deswegen so zerstörerisch, weil man mit dem, womit man kämpft, verbunden ist und bleibt.
Die Menschen und Umstände, die das lyische Ich zermürben, sind hier nicht nur äußerlich bleibende Instanzen, sondern bestimmen das Erleben dessen, der da strampelt, auch dann noch, wenn er sich mit aller Kraft dagegen wehrt, so zu werden wie das, was aus ihm gemacht werden soll. »Fetch the Bolt Cutters« meint: Sich rausschneiden aus dem, was einen kaputtmacht und am selbstbestimmten Leben hindert. Und die Arbeit, die das macht, ist hier eben nicht nur eine Kopf-, sondern vor allem Herzensarbeit, um im Bild zu bleiben: »My heart was not«.
Aufgenommen hat Apple das Album zuhause. Immer wieder ist Hundebellen zu hören. Das Klavier bildet das Zentrum. Dazu kommen Percussion, Hintergrundgeräusche und viele Gäste. Beim ersten oberflächlichen Hören klingt das alles zwar ungemein schön, aber nicht spektakulär. Beim zweiten zeigt sich dann, dass in der Musik hier genau so viel konzeptuelle Sorgfalt steckt wie in den Texten. Roh ist nichts an dieser Platte, trotz Home Recording, alles wirkt überlegt. Zentraler Satz: »Kick me under the table all you want/I won’t shut up«. Eines der Alben des Jahres.
Fiona Apple: »Fetch the Bolt Cutters« (Epic/Sony Music)
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1136489.herzensarbeit.html