Auf der Jagd nach dem Patriarchat

Feministische Schnitzeljagd macht die Auswirkungen der Coronakrise auf die Lage von Frauen sichtbar

  • Antonia Groß
  • Lesedauer: 4 Min.

Etwa 25 Personen sitzen, hocken und knien am Sonntag in kleinen Gruppen auf den Treppenstufen vor dem Kindl-Zentrum am Rollberg in Neukölln. In gebotenem Abstand genießen sie die wiedergekehrten Sonnenstrahlen und trinken Kaffee. So gemütlich die Stimmung, so ernst ist der Anlass: Die kleine Versammlung befindet sich an einer von 19 Stationen einer feministischen Schnitzeljagd durch Neukölln und Wedding. Unter dem Aufruf ShutDownPatriarchy haben Stadtteilgruppen, feministische Kollektive und Frauen*-AGs linker Organisierungen zur Rallye eingeladen. Sie wollen damit auf Missstände, die sich in der Pandemiezuspitzen und vor allem FLINT* (das heißt Frauen*, Lesben*, Inter*, Non-binär* und Transgender* Personen) betreffen, aufmerksam machen.

An einem Infotisch steht Pietje Gottwald. Sie verteilt Pappschilder, Farben, gibt Input und Hinweise. Während die Teilnehmer*innen Forderungen aufschreiben und Fotos auf digitalen Kanälen verbreiten, erklärt sie: »Für prekarisierte Felder ist die Krise ein Vergrößerungsglas.« Jede Station ist individuell gestaltet. Es gibt ein Quiz zu Sexarbeit; ein Glücksrad, wo sich feministische Utopien gewinnen lassen; Installationen und Straßen-Umbenennungen und Solidaritätsbekundungen mit den Geflüchteten in Griechenland. So unterschiedlich die Stationen thematisch, methodisch und gestalterisch sind, so mehrdimensional lesen sich die Forderungen. Neben der Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen geht es um die dezentrale Unterbringung Obdachloser und ein gezieltes Vorgehen gegen häusliche Gewalt und die Bestrafung von Femiziden.

Teilnehmerin Elena Pitscheider gefällt die Aktion, »weil wir etwas tun können, das außerhalb von Zuhause ist«, sagt die Studentin. Sie ist mit ihren Freundinnen zum Kindl-Zentrum gekommen. Auch sie bemalen ein Schild: »Faire Bezahlung - auch Hausarbeit - auch in der Pflege - auch nach der Krise«, steht darauf.

»Es sind besonders Frauen, auf deren Rücken die Krise ausgetragen wird«, sagt Pietje Gottwald. Da sind die vor allem weiblichen Pflegekräfte, die unter der im März aufgehobenen Pflegeuntergrenze massiv leiden. Da sind Mütter, für die wegen ausgefallener Kinderbetreuung mehr Sorgearbeit ansteht. Fälle von häuslicher Gewalt gegen Frauen sind seit den Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie angestiegen, zählt sie auf. Auf die breite Palette an Ungleichheiten wollen die Initiator*innen mit der Schnitzeljagd aufmerksam machen. Das Motto des Aktionstages: »Wir werden nicht zur Normalität zurückkehren, denn die Normalität war das Problem.«

Wegen finanzieller, emotionaler und gesellschaftlicher Belastungen würden viele Frauen auch nach der Krise gar nicht »zurückkönnen, in eine sogenannte Normalität«, sagt Bündnis-Sprecherin Jenny Funke-Kaiser. »Die Autohäuser sind offen, aber die Kitas sind zu. Die Lufthansa bekommt Milliarden, und die Pflegerinnen Applaus«, ergänzt Sprecherin Susanne Hentschel. Die Schnitzeljagd eigne sich als Aktionsform nicht nur wegen der Schutzmaßnahmen: »Wir wollten viele Menschen ansprechen, aber nicht an einem einzigen Ort.«

An den verschiedenen Stationen können sich die Schnitzeljäger*innen nicht nur über die Missstände informieren, sondern bekommen auch Hinweise, um zur nächsten Station zu gelangen - mit dem Fahrrad oder zu Fuß. Eileen Celik hat den Tag am Virchow Klinikum verbracht. Mit den Teilnehmenden hat sie »1, 2 oder 3« zur Fallkostenpauschale und dem Outsourcing von Angestellten in Krankenhäusern gespielt. Auch der seit der Krise stillgelegte Streik der Mitarbeitenden des Charité-Facility-Managements war Thema. Celik ist zufrieden, sie schätzt, dass etwas mehr als 100 Personen allein an ihrem Stand vorbeigekommen sind.

Zur Abschlusskundgebung am Leopoldplatz um 15 Uhr sind etwas mehr als 100 Menschen gekommen. In der Nachmittagshitze hören sie den Sprecher*innen zu. »Wir wollen komplexe Antworten auf komplexe Fragen zugänglich machen«, erklärt Lea vom Frauen*streik Wedding, die ihren Nachnamen nicht in der Zeitung lesen möchte. In Abgrenzung zu den simplen Antworten aus der Ecke der Verschwörungserzähler*innen wolle man »die zum Teil berechtigte Kritik an den Zuständen auffangen, um anstehende Fragen sozial und gemeinsam zu lösen«.

Die Schnitzeljagd sei dafür das richtige Format, findet sie. »Es ist gut, dass in Corona-Zeiten die Themen, für die wir lange um Öffentlichkeit kämpfen mussten, jetzt einfacher in den Mainstream zu bringen sind.«

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