nd-aktuell.de / 03.08.2007 / Politik

Glatze und Bomberjacke war gestern

Die Neonazi-Szene hat sich Jugend-Subkulturen geöffnet und deren Symbole übernommen

Anke Engelmann
Glatze, Springerstiefel, Störkraft-T-Shirt? Das war gestern. Neonazis sind oft nicht eindeutig einer bestimmten Szene zuzuordnen.
Mit Verwunderung registrieren inzwischen Polizei und Verfassungsschutz einen Wandel in der rechten Szene: Auf Neonazi-Demos gibt es einen schwarzen Block. »Freie Kräfte« oder »autonome Nationalisten«, angetan mit Kapuzenpullis und dunklen Sonnenbrillen, sind kaum von linken Autonomen zu unterscheiden, andere tragen weite HipHop-Klamotten und Basecaps, Piercings, Zickenbart oder Palästinenser-Tücher. Die Szene hat sich anderen Jugend-Subkulturen geöffnet, übernimmt deren Symbole. Mit der englischen Band Skrewdriver, ursprünglich eine Punk-Band, verbindet man oft das martialisch aussehende Skinhead-Outfit. Punk und OI! liegen in ihrem Ursprung nahe beieinander. In der britischen OI!-Szene sammelten sich vom Punk frustrierte Skinheads aller Couleur. Hierzulande bestimmten die trinkfreudigen »Hautköpfe« in ihrer Uniformiertheit, mit Bomberjacken und Springerstiefeln lange das Bild der Naziszene. In den neunziger Jahren jedoch begann die Dominanz der Glatzköpfe zu bröckeln. Gleichzeitig tauchten in anderen Jugendsubkulturen rechtsextreme Elemente auf. In Deutschland dachten seit Anfang der Neunziger Vertreter der so genannten »Neuen Rechten« in der »Jungen Freiheit« (JF) über eine Integration von Jugendsubkulturen nach. Einstieg damals wie heute: die Musik. »Die Musik ist das ideale Mittel, Jugendlichen den Nationalsozialismus nahe zu bringen«, so schon der 1993 verstorbene Skrewdriver-Sänger und Gründer des Vertriebs-Labels Blood and Honour, Ian Stuart. »Wenn es uns nicht gelingen sollte, uns von einem verkrampften Konservatismus loszusagen, der alles, was mit Jugendkultur zu tun hat, verteufelt, fürchte ich, dass wir jede Sympathie verlieren«, schrieb Filip Dewinter, Fraktionsvorsitzender des rechten Vlaams Blok (Belgien) 1995 in der JF. Die Nazis haben ihre Hausaufgaben gemacht. Einher ging das mit dem strategischen Wandel der NPD, die seit der Wiedervereinigung versucht, junge Mitglieder aus der Neonazi- und Skinhead-Szene zu rekrutieren und sich für Freie Kameradschaften öffnete. Deren Vertreter, die wie der in der rechten Musikszene aktive Thorsten Heise inzwischen auf zentralen Parteiposten sitzen, greifen gern auf finanzielle und logistische Mittel der NPD zurück. Bei Konzerten trifft man Gleichgesinnte, tauscht sich aus, Freundeskreise entstehen – viele der Freien Kameradschaften dürften hier ihre Wurzeln haben. 1993, als manche Nazi-Kader noch über die »Dekadenz« der »Negermusik« schimpften, setzte sich JF-Redakteur Roland Bubik unter der Überschrift »Die Kultur als Machtfrage« mit der Techno-Szene auseinander. Später versuchte der Stipendiat der Konrad-Adenauer-Stiftung eine Annäherung an die Neo-Folk- und Gothic-Szene, wo jedoch seit 1998 die Initiative »Grufties gegen Rechts« den Nazis auf die Finger klopft. Viel ist passiert, seit in den Achtzigern die Böhsen Onkelz Lieder wie »Türken raus« sangen. In den Neunzigern wurden viele Nazi-Bands verboten. Zugleich wurde die Musik immer vielfältiger, vom soften Liedermacher Frank Rennicke bis zum Hatecore ist für jeden Geschmack etwas dabei. Geschäftemacher wie der Düsseldorfer Torsten Lemmer verdienen sich im Vertrieb eine goldene Nase – auch wenn durch das Kopieren der CDs den Labels viel Geld verloren geht. Per Internet und auf Konzerten werden CDs mit Nazi-Musik verhökert, später tausendfach nachgebrannt und weitergereicht. Die rechtsradikale Berliner Band Landser konnte – trotz Verbot – mit einem geschickt aufgebauten Untergrund-Image CDs im fünfstelligen Bereich verkaufen. 114 professionell produzierte Rechtsrock-CDs wurden 2006 laut Innenministerium veröffentlicht und bis zu 240 Konzerte veranstaltet. Die Faszination des Verbotenen machte wohl auch die Schulhof-CDs attraktiv, die Neonazis massenhaft kostenlos auf Schulhöfen verteilten. Den Kids mussten sie die beileibe nicht immer mit Gewalt aufdrängen.