Mit neuen und alten Bündnissen ins Wahljahr
2021 sollen in Russland Parlamentswahlen stattfinden. Oppositionsparteien beginnen mit dem Schmieden von Koalitionen
»Wenn euch die Verfassung nicht gefällt, dann sucht euch einen neuen Arbeitsplatz«, rief neulich der Vertreter von Präsident Wladimir Putin in der Duma, Garri Minch, den wenigen Abgeordneten entgegen, die gegen die Änderungen an ebendieser Verfassung stimmten. Nur 37 Abgeordnete, die meisten von der Kommunistischen Partei der Russischen Föderation (KPRF), stimmten gegen einen Gesetzentwurf, der ehemaligen Präsidenten nach Ende der Amtszeit Schutz vor Strafverfolgung garantiert. Aktuell betrifft dies Dmitri Medwedew, den einzigen noch lebenden Ex-Präsidenten.
Die KPRF, die aktuell die größte oppositionelle Fraktion in der Duma stellt, plant gerade ihre Zukunft. Für die Parlamentswahlen, die im September 2021 stattfinden sollen, will die Partei eine »breite Koalition« aufstellen, wie ihr Vorsitzender Gennadi Sjuganow auf dem Ende Oktober stattgefundenen Plenum des Zentralkomitees der Partei verkündete. Als Vorbild soll das Bündnis »Volkspatriotische Kräfte Russlands« dienen, das zwischen 1996 und 2003 als Partner der KPRF fungierte. Es umfasste Vertreter der Agrarwirtschaft, Nationalisten und »Rote Direktoren« (sowjetische Betriebsleiter, die nach der Privatisierung zu »roten Kapitalisten« wurden), zerbrach jedoch an der Frage der Listenplätze. Doch nicht nur die jeweiligen Ambitionen der Partner bescherten dem national-kommunistischen Bündnis eine Krise; gegen den neuen Präsidenten Putin zogen die patriotischen Parolen der 1990er Jahre immer weniger.
Sjuganows neuer Plan für die »Volksfront der Linken und der Patrioten« wirft vor allem Frage auf, wer die potenziellen Verbündete sein sollen. Mit dem »linkspatriotischen« Programm tritt schon die neugegründete Partei des Schriftstellers und TV-Moderators Sachar Prelepin »Für die Wahrheit« an. Sergei Udalzow, der Anführer der Linken Front (LF), favorisiert hingegen ein noch breiteres Bündnis. Er plädiert für eine Einigung von linken, liberalen und »national-patriotischen« oppositionellen Kräften, um gemeinsam den befürchteten Wahlfälschungen und Manipulationen zu trotzen. Zuvor, so Udalzow, sollten in den jeweiligen politischen Lagern öffentliche Vorwahlen nach US-amerikanischen Vorbild stattfinden. Wie die Zeitung »Nesawissimaja gaseta« berichtet, gibt es von der Führung der KPRF bis jetzt keine Antwort auf den Vorschlag.
Fragen nach Bündnissen und Absprachen stellen sich auch für den anderen Teil des oppositionellen Spektrums - die Liberalen. Wie die Tageszeitung »Kommersant« berichtete, haben sich die Vertreter der sozialliberalen Jabloko-Partei mit den Anhängern der »Stiftung für Bekämpfung der Korruption« von Alexei Nawalny getroffen. Ziel der Verhandlungen: Wahlbezirke in der für die Opposition vielversprechenden Hauptstadt so aufzuteilen, dass sich die Kandidaten nicht in die Quere kommen. Dabei ist die Zulassung der Nawalny-Liste zur Wahl mehr als ungewiss.
Es gibt zudem liberale Organisationen, die die Absprachetaktik verzögern. So plädieren die rechtsliberale Partei der Volksfreiheit (Parnas) und die dem Ex-Oligarchen Michail Chodorkowski nahestehende Partei »Offenes Russland« zwar für eine Einigung auf eine gemeinsame Wahlkoalition. Laut Udalzow gab es auch schon erste Gespräche mit den Liberalen. Doch Parnas und »Offenes Russland« wollten zuerst eine Einigung im eigenen Lager erzielen, während Jabloko auf die Distanzierung vom Stalinismus pocht und die Nawalny-Anhänger in Abwesenheit ihres Anführers alle Gespräche eingefroren haben.
Jenseits der Koalitionsbildung gibt es im oppositionellen Lager eine ganze Reihe anderer Probleme. Die zahlenmäßig kleine, aber spätestens seit den Moskauer Protesten 2019 medial sehr präsente Libertäre Partei Russlands steht kurz vor der Spaltung. Die Fraktion um die populären Videoblogger Michail Swetow und Egor Schukow, die zu den bekanntesten Gesichtern des Protestsommers zählen, klagt über eine feindliche Übernahme durch den Vorsitzenden Sergei Bojko. Erst im August wurde Schukow bei einem Angriff von Unbekannten schwer verletzt.
Eine weitere Hürde für die Opposition birgt der neue Gesetzesentwurf, den die Duma vorlegte. Laut dem können sowohl Organisationen als auch Privatpersonen, die »im Interesse« einer nicht näher definierten »ausländischen Quelle« im weitesten Sinne »politisch wirken«, als »ausländische Agenten« von einer Kandidatur ausgeschlossen werden. Anders als bisher bedürfe es nun keines Nachweises ausländischer finanzieller Unterstützung mehr. Die Erfassung der »ausländischen Agenten« erwies sich bisher vor allem als Druckmittel gegen Nichtregierungsorganisationen.
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