Es war ein sehr heißer Sommer

Nina Bogomolowa verlor im Großen Vaterländischen Krieg ihren Vater und ihren Bruder

  • Elke Scherstjanoi
  • Lesedauer: 3 Min.

Ich wurde 1927 in Moskau geboren. Mein Vater war Berufsmilitär, Mutter hatte eine Hochschule für angewandte Kunst absolviert. Vater war ein talentierter, liebenswürdiger Mensch. Er kam aus einer einfachen Familie. Die Eltern verstanden sich gut. Zwei Tage nach Beginn des Krieges wurde Vaters Abteilung an die Front geschickt. Er wurde Regimentskommissar. Von Natur aus war er eigentlich ganz unmilitärisch, ein unorganisierter Mensch. Er war sehr fröhlich. Niemals erlebte ich, dass er laut aufbrauste.

Anfangs kamen noch Briefe, ab August 1941 erhielten wir keine mehr. Mutter stellte sehr viele Nachforschungen an. Erst nach dem Krieg hat sie einen Brief erhalten von einem jungen Politoffizier, der in Vaters Einheit gedient hatte. Er teilte uns mit, dass sie Vater an die Spitze des Bataillons gestellt hatten, in der Knochenmühle östlich von Smolensk. Es war ein sehr heißer Sommer. Vater geriet in die Umzingelung. Fast alle seine Männer kamen um, aber das Regiment kämpfte sich durch, kam bis Moskau, nahm an den Kämpfen um die Hauptstadt teil und zog dann bis Berlin. Vater ist allem Anschein nach schon in diesem heißen Sommer 1941 gefallen.

Mein Bruder ist vor dem Krieg in die Moskauer Militärhochschule eingetreten. Als die Kämpfe um Moskau tobten, war auch er dabei. Er wurde verwundet und in ein Hospital im Ural geschickt. Als Moskau bombardiert wurde, fuhren wir - im Juli 1941 - auch in den Ural. Dort trafen wir meinen Bruder. Sie schickten ihn dann an die Front bei Belgorod. Wir bekamen von ihm zwei bis drei Briefe, danach keine mehr. Er verschwand leider auch aus unserem Leben. Mein Bruder und mein Vater sind also verschollen. Mutter und ich blieben am Leben.

1944 begann ich mein Studium am Fremdspracheninstitut in Moskau, das ich 1948 beendete. Es gab dort fast nur Mädchen, in unserer Gruppe war nur ein Junge - ohne Arme und Beine. Er hat sie an der Front verloren. Beim Studium lernte ich meinen Mann Sascha kennen. Wer die Dolmetscherfakultät beendete, konnte ins Ausland, auch nach England und Amerika. Als wir noch Verbündete waren. Mein Mann wurde als Dolmetscher nach Berlin zur Sowjetischen Kontrollkommission geschickt, ich ging mit ihm. Wir wohnten in Karlshorst. Damals war ein Sprichwort im Umlauf: »Kuriza ne ptiza, Karlshorst ne sagraniza.« (Das Huhn ist kein Vogel, und Karlshorst ist kein Ausland.) Ich arbeitete viele Jahre für den IDFF, die Internationale Demokratische Frauenorganisation, die am 1. Dezember 1945 in Paris von antifaschistischen Frauenverbänden gegründet worden ist und ihren Sitz Anfang der 1950er Jahre nach Ostberlin verlegen musste.

Wir sind in Berlin viel ins Theater gegangen, sahen zum Tschechow-Jubiläum die »Drei Schwestern«. Natürlich auch Brechts »Mutter Courage«. Und wir waren oft in der Komischen Oper. Wenn man in Moskau ins Bolschoi wollte, musste man lange nach Karten anstehen, manchmal eine ganze Nacht. In Berlin gingen wir kurz vor Beginn hin.

Von der Berliner Historikerin Elke Scherstjanoi erschien jüngst »Sieger leben in Deutschland. Zum Alltag sowjetischer Besatzer in Ostdeutschland 1945-1949«, Edition Schwarzdruck.

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