nd-aktuell.de / 31.01.2022 / Kultur / Seite 13

Weiterentwicklung der glatten Musik

Plattenbau. Die CD der Woche: »Fragments« von Bonobo

Benjamin Moldenhauer

Seichtheit wurde erst spät als ästhetische Qualität im Pop entdeckt. In der zweiten Hälfte der 90er Jahre fand Easy Listening Eingang in hippe elektronische Musik. Ich erinnere mich gerne an Nightmares on Wax, Air und Röyskopp und weniger gerne an die Dutzend Epigonen. Downbeat hieß das damals, alles entschleunigt und entspannt.

Es war nicht die schlechteste Zeit für flauschige Musik[1], die einen sanft umhüllte, alles weich werden ließ und zu der man endlos rumhängen und trotzdem auch hin und wieder tanzen konnte: An der Uni konnte man, wenn man irgendwas mit Kultur- oder Geisteswissenschaften studierte, machen, was man wollte, das World Trade Center war noch nicht eingestürzt (das maßgebliche Album von Röyskopp etwa erschien am 3. September 2001), der Klimawandel lief natürlich bereits ungebremst, aber es hat kaum einen interessiert.

In dieser Zeit, im Jahr 2000, hat der britische Produzent Simon Green unter dem Namen Bonobo sein erstes Album »Animal Magic« rausgebracht. Seitdem veröffentlicht Green in Drei- bis Vierjahresabständen Musik mit sanft dahingleitenden Beats, die unter samtenen Synthie-Flächen, Streichern und geschmackvollen Samples dahingleiten. Bassdrum-Druck und -Sound sind immer millimetergenau kalibriert, alles greift ineinander. Es gibt nichts bewusst Fehlerhaftes in Bonobos Soundkonzept, dessen Ergebnisse auch deswegen immer wieder hart an Wallpaper Music entlangschrammen.

»Harmonie und Melodie, das war für mich immer das Wichtigste«, hat Simon Green einst erklärt, und das hört man dann auch. Das gelingt mal gut (zum Beispiel auf dem bislang besten Bonobo-Album »Migration«, das das tendenziell Soßenhafte dieser Musik mit sehr schönem Songwriting ausbremst), mal weniger gut (auf dem etwas vermatschten »The North Borders« etwa).

Auf »Fragments« integriert Green verstärkt Garage-Beats in seine Musik, trotzdem bleibt alles glatt und ohne Störgeräusch. Die erste Albumhälfte versammelt alle Hits, auf der zweiten wird es etwas verdudelt. Das letzte Stück, »Day by Day«, zum Beispiel überreizt die Coffee-Table-Ästhetik mit einem schon arg klebrigen Saxofon-Rausschmeißer-Solo dann doch. Aber die guten Stücke sind halt auch sehr gut. Auf »Shadows« singt Ninja-Tune-Label-Kollege Jordan Rakei einnehmend über Housebeats. »Otomo« enthält sehr bezaubernde Chorsamples und ist das tanzbarste Stück des Albums. »Tides« ist samtener Kuschelpop, zu dem man prima bekifft und melancholisch in der Badewanne liegen kann.

Wie überhaupt die Musik von Bonobo umfassend einsetzbar ist. Rumhängen, Tanzen und Baden wurden schon genannt. Im Wikipedia-Eintrag zu »Easy Listening« werden außerdem aufgeführt: »Zerstreuung, Ablenkung, Entspannung (Gastronomie), Deeskalation (Psychiatrische Klinik), Stimmungsaufhellung (Altersheim), aber auch Motivation, Aktivität, Kaufbereitschaft«.

Das trifft alles auch auf »Fragments« zu. Die Stücke bilden so etwas wie einen universalen musikalischen Konsens. Electronica[2], auf die sich, bilde ich mir zumindest ein, ausnahmslos alle einigen können. Außer halt denen, die Musik nicht mögen, auf die sich alle einigen können.

Bonobo: »Fragments« (Ninja Tune/Rough Trade)

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/932526.duedelduedidue.html?sstr=easy|listening
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1157903.nala-sinephro-frueh-gereift.html?sstr=electronica