nd-aktuell.de / 01.03.2022 / Kultur / Seite 12

Fluch der Schüchternheit

Vor 50 Jahren wurde Nick Drakes Meilenstein »Pink Moon« veröffentlicht, das eine viel zu späte Würdigung erfahren hat

Frank Jöricke

Am Anfang war das Volkswagen Cabrio. Und eine Handvoll Werber, die nach einer Idee für einen Videoclip suchten. »Ein paar junge Leute könnten an einem Sommertag zum Strand fahren«, schlug der immer etwas übermotivierte Junior-Artdirektor vor und erntete dafür von der Senior-Artdirektorin ein hämisches »Das ist schon ein bisschen ausgelutscht, findest du nicht?« »Der Spot könnte nachts spielen«, schlug der Praktikant vor, der nie vor Sonnenuntergang die Agentur verließ. Die anderen unfreiwilligen Nachtarbeiter nickten zustimmend. Jetzt fehlte nur noch die passende musikalische Untermalung. Die Konzeptionerin hatte kürzlich auf dem Flohmarkt für drei D-Mark eine Platte namens »Pink Moon«. erworben. Das Cover hatte ihr gefallen; es sah surreal aus und auch ein wenig psychedelisch. Doch die Musik war dann ganz anders gewesen. Folk der sanften, verhaltenen Art. Nur eine Stimme und eine Gitarre. Irgendwie beruhigend und dann auch wieder traurig und aufwühlend.

So oder so ähnlich begann eine der großen Erfolgsgeschichten des Jahres 1999. Nicht die des Volkswagen Cabrio, sondern die von Nick Drake. Eine Minute des Titelsongs bewirkte, dass Millionen von Menschen diesen Musiker wiederentdecken. Um genau zu sein: ihn überhaupt entdeckten.

Es ist die klassisch-tragische Van-Gogh-Geschichte: Begabter Künstler wird von seinen Zeitgenossen nicht wahrgenommen, nicht gewürdigt. Er verzweifelt, bringt sich um. Zu spät, erst Jahre nach seinem Tod, wird sein wahres Können erkannt. Und dann ausgerechnet von einem Autokonzern.

Nick Drake hatte das Pech, in der produktivsten Zeit der Popmusik, den späten 60ern und frühen 70ern, aktiv zu sein. In seinem Buch »1971 – Never a Dull Moment: Rock›s Golden Year« beschreibt der Musikjournalist David Hepworth, in welchem Umfeld sich Drake behaupten musste. Er konkurrierte mit den Rampensäuen der Songwriter – mit den Ex-Beatles Paul McCartney, John Lennon und George Harrison, mit Joni Mitchell und Cat Stevens und nicht zuletzt mit Carole King, deren »Tapestry« gerade alle Verkaufsrekorde gebrochen hatte – und konnte dabei nur verlieren.

Inmitten eines Überangebots an herausragenden Alben stand ein in sich gekehrter junger Mann auf verlorenem Posten. Ein unsicherer, schüchterner Musiker, der Livekonzerte abbrach, weil ihn die Reaktionen der Zuschauer überforderten, war nicht geschaffen für das Rockbusiness. Ihm fehlte die Fähigkeit, für seine Musik einzutreten. Was heute als »introspektiv« und »sensibel« vermarktet würde, war damals der Karrieretod.

Das ist im Fall von »Bryter Layter«, dem Album, das in jenem magischen Jahr 1971 erschien, besonders bedauerlich. Denn Produzent Joe Boyd war es gelungen, Drakes spröden Folkpop durch eine flankierende Instrumentierung und ausgefeilte Arrangements zum Strahlen zu bringen. Songs, wie das angejazzte, gospelangehauchte »Poor Boy« hätten schon damals eine breitere Öffentlichkeit verdient. Doch der Erfolg blieb aus.

In der Folge zog Drake sich noch mehr zurück. »Pink Moon«, sein letztes von nur drei Alben, spielte er ganz ohne Studiomusiker ein. Die Aufnahmen fanden nachts statt – was man hört. Dies ist der Soundtrack für die Geisterstunde. Dann, wenn es so ohrenbetäubend leise ist, dass man nur noch die eigene Seele wahrnimmt: roh und waidwund. In seiner schonungslosen Intimität bleibt »Pink Moon« bis heute unerreicht. Es ist die Blaupause für alle Unplugged-Alben. Bloß dass damals, 1972, niemand unplugged hören wollte. Es war die Hochzeit der elektrisch verstärkten Gitarren. Hinter dem gewaltigen »Smoke On The Water« wurde der »Pink Moon« unsichtbar. Der Wunsch eines »Rolling Stone«-Rezensenten – »Die Schönheit von Drakes Stimme ist Begründung genug. Möge sie uns allen vertraut werden!« – erfüllte sich nicht. Auch sein letzter Versuch, die Massen zu erreichen, scheiterte. Von diesem Misserfolg sollte er sich nicht mehr erholen. Er gab die Musik auf, zog wieder bei seinen Eltern ein. 1974 starb Nick Drake an einer Überdosis. Es waren Antidepressiva.