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Zur Not geht’s auch kreativ

Die deutschen Volleyballer starten nicht ganz sorgenfrei in die WM

Ohne Georg Grozer müssen bei den deutschen Volleyballern Kapitän Lukas Kampa (l.) und junge Spieler wie Tobias Krick mehr Verantwortung übernehmen.
Ohne Georg Grozer müssen bei den deutschen Volleyballern Kapitän Lukas Kampa (l.) und junge Spieler wie Tobias Krick mehr Verantwortung übernehmen.

Wahrscheinlich atmete Michał Winiarski erst so richtig durch, als er Linus Weber im Flugzeug nach Ljubljana sitzen sah. Der neue Bundestrainer musste nach seinem Amtsantritt im April zunächst die Nachricht verkraften, dass der beste deutsche Volleyballer Georg Grozer in diesem Sommer pausieren würde. Als sich dann auch noch Ersatz Weber den kleinen Finger der rechten Hand brach, sah sich Winiarski gezwungen, kreativ zu werden und das Spielsystem komplett umzustellen. Am Dienstagabend aber kam die erlösende Nachricht vom Teamarzt des Deutschen Volleyball-Verbands (DVV). Weber kann wieder spielen, also saß er einen Tag später im Flieger zur WM in Slowenien.

Im ersten Spiel trifft die DVV-Auswahl an diesem Freitag gleich auf Olympiasieger Frankreich. Da kaum jemand mit einem Sieg der Deutschen rechnet, könnte ihr neuer polnischer Trainer seinen besten Angreifer eventuell sogar noch einmal schonen und doch auf das Ersatzsystem mit drei Außenangreifern setzen, das er in den vergangenen zwei Wochen trainieren ließ. »Wir müssen erst mal sehen, ob Linus uns schon wieder helfen kann«, sagte Winiarski dieser Tage. »Das andere System hat in manchen Situationen sogar seine Vorteile, weil wir noch in der Annahme sicherer stehen würden. Auch in dieser Formation können wir richtig guten Volleyball spielen.«

Tatsächlich ist die Idee nicht neu. Italien wurde 2021 ohne Diagonalangreifer Europameister, und auch die deutschen Frauen setzten in der Nations League zuletzt auf drei Außenangreiferinnen, weil Louisa Lippmann ihre Hallenkarriere beendet hatte. »Die Situation hat mich dahin getrieben. Aber das ist trotzdem keine Verlegenheitslösung«, beharrte der Bundestrainer.

Da Winiarski ohnehin als risikofreudiger Trainer gilt, passt eine solche Änderung also zu seinem Stil. Das bestätigte auch Kapitän Lukas Kampa, der bereits ein Jahr lang im Verein bei Gdansk unter dem Polen arbeitet und ihn offenbar dem DVV als Nachfolger des Anfang des Jahres unerwartet nach Frankreich gewechselten Andrea Giani vorgeschlagen hatte. »Die Umstellung ist nicht so groß, auch Andrea hat mehr Risiko im Angriff befürwortet«, so Kampa. »Auch im Aufschlag dürfen wir jetzt mal zwei Fehler hintereinander machen. Wir wollen einfach selbst den Punkt machen, anstatt es nur dem Gegner etwas schwieriger zu machen.«

Für manche jungen Spieler ist der Ansatz neu. So sagte der 23-jährige Mittelblocker Lukas Maase diese Woche in Kienbaum, dass »der Trainer die perfekte Grundlage für diesen Spielstil geschaffen« habe, indem niemand für Fehler kritisiert wird, wenn man dabei eine gute Idee verfolgt. »Das kannte ich bisher nicht, und ich finde das sehr angenehm.« Sein zwölf Jahre älterer Zuspieler Kampa stellte aber klar, dass das dennoch »kein Harakiri-Volleyball ist. Michał legt immer noch viel Wert darauf, dass die Basissachen präzise ausgeführt werden.«

Darin habe man zuletzt im Training einen großen Schritt voran gemacht, freute sich der Bundestrainer über die Eindrücke am Olympischen Trainingszentrum in Kienbaum. »Auch die beiden Testspiele gegen die Niederlande waren gut. Im Vergleich zur Nations League haben wir uns sichtbar verbessert, und jeder geht die Sache sehr fokussiert an«, so Winiarski.

Ein WM-Ziel gibt der erst 38-Jährige trotzdem nicht aus. »So etwas hatte ich auch als Spieler nie. Wir träumen vielleicht von Medaillen, aber erst mal müssen wir uns auf Frankreich konzentrieren. An die anderen Spiele danach denke ich noch nicht einmal. Nur so kann man in einem Turnier erfolgreich sein«, sagte der Pole, der 2014 in seinem Heimatland den WM-Titel gewonnen hatte. Das könnte er in diesem Jahr theoretisch wiederholen, denn ab dem Halbfinale findet die WM in Katowice erneut auf polnischem Boden statt. Slowenien und Polen waren eingesprungen, nachdem der Weltverband Russland das Turnier infolge des Angriffs auf die Ukraine entzogen hatte.

An das Turnier vor acht Jahren hat auch Lukas Kampa noch gute Erinnerungen. Es war die letzte WM, für die sich Deutschland hatte qualifizieren können, und am Ende kam der sensationelle Gewinn der Bronzemedaille dabei heraus. Im finalen Medaillenduell schlug das damalige DVV-Team, von dem heute neben Kampa nur noch Christian Fromm dabei ist, übrigens die favorisierten Franzosen. Eine abermalige Überraschung zum WM-Auftakt würde Kampa sehr gefallen: »Wir waren damals auch kein Favorit. Vielleicht schreiben wir ja wieder eine besondere Geschichte.«

Über den Achtelfinalenzug entscheiden aber wahrscheinlich eher die Spiele am Sonntag gegen Kamerun und zwei Tage darauf gegen Gastgeber Slowenien. »Wenn wir das schaffen, ist alles offen«, hofft Bundestrainer Winiarski. »Denn in einem K.o.-Spiel können wir an guten Tagen jeden schlagen.« Um das zu sehen, müssen deutsche Volleyballfans allerdings erstmals bezahlen. Dass Turniere nicht mehr im Fernsehen zu sehen sind, sondern nur noch im Internet, daran haben sie sich längst gewöhnt. Jetzt aber verlangt der Streamingdienst sportdeutschland.tv für das WM-Paket 7,50 Euro. Ob die Sportart so aus dem Nischendasein kommt, ist fraglich. Am Ende hilft wahrscheinlich wirklich nur eine überraschende Erfolgsgeschichte.

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