Bolsonaro schürt Unruhe

In Brasilien stemmen sich rechte Fanatiker mit Hunderten Straßenblockaden gegen den Machtwechsel

  • Niklas Franzen, São Paulo
  • Lesedauer: 4 Min.

Eliane Mouco sei Patriotin, deshalb sitze sie jetzt hier. »Wir akzeptieren die Wahlergebnisse nicht«, sagt die 37-Jährige, die sich eine Brasilien-Fahne umgehängt hat. »Es hat Betrug gegeben.« Mouco sitzt auf einem Stück Karton auf einer Autobahn in São Paulo. Zusammen mit rund 40 Mitstreiter*innen hat sie eine Zufahrt zum internationalen Flughafen Guarulhos blockiert. Vor zwölf Stunden kamen sie hier an, das Ziel: mit der Straßenblockade gegen die »geraubte Wahl« zu demonstrieren. Auch in anderen Teilen des Landes sind Straßen blockiert.

Am Sonntag gewann der Sozialdemokrat Luiz Inácio da Silva von der Arbeiterpartei PT die Stichwahl gegen den rechtsradikalen Amtsinhaber Jair Bolsonaro. Dessen Anhänger*innen wollen den Wahlsieg nicht akzeptieren – auch weil der Präsident seit Monaten Verschwörungsmythen und Lügen über das Wahlsystem verbreitet. Bolsonaro hüllt sich seit Sonntag in Schweigen, hat weder die Wahl anerkannt noch seinem Widersacher Lula gratuliert. 

Der Druck auf den Verlierer ist groß. Einige enge Verbündete erkannten die Wahl an, viele prominente Staatschefs gratulierten Lula. Bolsonaros Berater*innen sollen versucht haben, ihn zu überreden, nachzugeben. Doch für den Präsidenten ist seine radikale Wählerbasis wichtig: Sollte er sich jetzt dem Druck beugen, könnte er als schwach und inkohärent wahrgenommen werden. Es könnte eine Taktik sein, sie hinzuhalten und auf Unruhen im Land zu spekulieren.

Die Blockaden starteten unmittelbar nach der Bekanntgabe der Wahlergebnisse. Als erstes waren es Lastwagenfahrer*innen, die Straßen blockierten. Sie zählen schon lange zu den treusten Anhänger*innen Bolsonaros. In einem Land, das praktisch kein Schienennetz hat, können solche Blockaden durchaus große Auswirkungen haben.

Einige Bolsonaro-Fans fordern ganz offen eine Militärintervention und verbreiten das Gerücht, dass das Militär nach 72 Stunden eingreifen werde. Auf die Frage, ob alles friedlich bleiben wird, zuckt ein Bolsonaro-Anhänger nur mit den Schultern und grinst. Bisher sind es überwiegend Proteste von Einzelpersonen, die sich in sozialen Netzwerken organisieren. Doch sollte die Zahl der Aktionen wachsen, könnte es gefährlich werden. Einige befürchten Bilder wie beim 6. Januar 2021 in Washington, als radikale Trump-Anhänger*innen das Kapitol stürmten. Aus Angst vor Ausschreitungen wurde in der Hauptstadt Brasília präventiv die Esplanade der Ministerien gesperrt.

Bei der Blockade in São Paulo werden Wasserflaschen herumgereicht, es gibt Brötchen mit Butter. Im Chor schallt es immer wieder: »Unsere Fahne wird niemals rot sein« und »Lula, du Dieb! Dein Platz ist im Gefängnis.« Viele vorbeifahrende Autofahrer*innen hupen zustimmend. Alle, die Kritik üben, werden wüst beschimpft. In der Nacht gelang es der Gruppe, die Autobahn komplett zu blockieren. Es bildeten sich lange Staus, Flüge mussten gestrichen werden. Am Morgen machte die Gruppe in Absprache mit der Polizei eine Fahrbahn frei.

In einigen Städten räumte die Polizei Straßen, auch in São Paulo. Doch an den meisten Orten blieb sie tatenlos. Die Beziehung mit den rechten Demonstrant*innen wirkt freundschaftlich. Ein Auto der Militärpolizei fährt vorbei, hupt und grüßt die jubelnden Rechten. Die für ihre Brutalität bekannte Polizei steht Bolsonaro traditionell nahe. Ein Video in sozialen Medien zeigt einen Polizisten, der den Demonstrant*innen in São Paulo dabei hilft, einen Zaun zu zerschneiden. Seine Uniform zeigt, dass er für die Autobahnpolizei arbeitet. Jene Behörde hatte noch am Sonntag mit fadenscheinigen Gründen die Anfahrt von Wähler*innen zu Wahllokalen behindert. Vor allem im Nordosten, wo die Mehrheit der Bevölkerung Lula unterstützt, gab es viele solcher Aktionen. Der Vorwurf der geplanten Wahlbehinderung auf Anordnung der Regierung steht im Raum. Der Direktor der Autobahnpolizei hatte am Tag vor der Wahl auf seinem Instagram-Profil Werbung für Bolsonaro gemacht.

Am Dienstagmorgen ordnete Alexandre de Moraes, Richter am Obersten Gerichtshof und Präsident des Wahlgerichts, unter Androhung hoher Strafen die Auflösung der Blockaden an. Und er drohte dem Direktor der Autobahnpolizei mit der Festnahme. Moraes gilt bei vielen Bolsonaristen als Hassfigur, da er in letzter Zeit einige Entscheidungen zu Ungunsten Bolsonaros und seiner Anhänger*innen gefällt hat.

Es ist mehr als fraglich, dass die Straßenblockaden etwas am Machtwechsel ändern werden. Doch die Proteste zeigen: Der Bolsonarismus ist stark, auch ohne direkte Ansprachen von Bolsonaro. Es ist tatsächlich gelungen, eine aktive Bewegung zu gründen – und das nicht nur im Netz. Und wenn Bolsonaro die Wahlergebnisse anerkennt? »Wir geben nicht auf«, sagt Eliane Mouco. »Wir werden weiter für die Freiheit kämpfen.«

Unterdessen hat am Dienstag die Bewegung der obdachlosen Arbeiter MTST ihre Aktivist*innen angesichts der Tatenlosigkeit der Polizei dazu aufgerufen, zu Tausenden bei der Beseitigung von Barrikaden mitzuwirken. In Konfrontationen mit den Bolsonaristen will man sich aber nicht verwickeln lassen. 

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