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Zwischen Zauber und Fluch
Der »Winterzauber«-Rummel an der Frankfurter Allee treibt die Nachbarschaft in den Wahnsinn
An der Frankfurter Allee, Höhe Magdalenenstraße, treffen zu dieser Weihnachtszeit zwei Welten aufeinander: Auf der einen Seite Karusselle, Achterbahnen und Glühwein, auf der anderen nichts als Frust. Mit dem »Berliner Winterzauber« hat der größte Weihnachtsrummel der Hauptstadt seine Zelte erstmals in dem Lichtenberger Wohngebiet aufgeschlagen. Doch die Freude über den Nachfolger des einst beliebten »Wintertraums« am Alexanderplatz hält sich bei der Nachbarschaft in Grenzen.
Nach Sonnenuntergang lassen sich an den Hochhausfassaden der angrenzenden Albert-Hößler-Straße bunte Lichtspiele beobachten. An Fenstern, die immer und immer wieder von den Strahlern getroffen werden, hat man die Rollläden heruntergelassen. Ein Anwohner, der gerade nach Hause kommt, ist aufgebracht. »Ich kann Ihnen eine Sache sagen: Brandbombe drauf und fertig«, sagt der Mann zu »nd«, bevor er, ohne seinen Namen zu nennen, in einem der Gebäudeeingänge verschwindet.
Eine Frau, die mit ihrem Sohn vom Einkaufen kommt und ebenfalls anonym bleiben möchte, zeigt sich gesprächiger. Sie klagt darüber, wie ihr jeden Tag grelle Lichter in die Wohnung scheinen, wie sie weder einen Parkplatz noch ihre Ruhe finden kann. »Wenn man den ganzen Tag arbeitet und dann nach Hause kommt, will man einfach seine Ruhe haben«, sagt sie. »Es ist eine Katastrophe.«
Anwohner Uwe Haubold, der gerade den Müll herunterbringt, sieht es ähnlich wie seine Nachbarin: »Der einzige Vorteil ist, dass schon um 21 Uhr Schluss ist. Ansonsten ist das Ganze von der Lage her idiotisch.« Dass ihm der Rummel vor die Tür gesetzt wird, hält er für eine Frechheit. »Wer auch immer das entschieden hat, sollte hier einfach mal drei Wochen einziehen und das dann als Lebenserfahrung mitnehmen.« Haubolds Fingerzeig geht in Richtung Politik, den Veranstalter treffe keine Schuld.
In dem Fall zeichnet Lichtenbergs Bezirksstadtrat für Öffentliche Ordnung, Umwelt und Verkehr, Martin Schaefer, für den Rummel zuständig. Die Genehmigung der Veranstaltung sieht der CDU-Politiker keineswegs als Fehler, wie er »nd« erklärt. »Wenn etwas für genehmigungsfähig befunden wurde, dann kann man nicht ohne Weiteres dagegen entscheiden«, sagt Schaefer und verweist darauf, dass der Standort vorab vom Umwelt- und Naturschutzamt für tauglich erklärt wurde.
Rund einen Monat vor Eröffnung hatte der Stadtrat mit Blick auf den Weihnachtsrummel zur Einwohnerversammlung geladen. Etwa 40 Anwohnerinnen und Anwohner seien dem Ruf gefolgt, teilt Schaefer mit. »Von der Möglichkeit, gehört zu werden, haben nicht viele Gebrauch gemacht.« Gerade den Lärm und die Lichter auf dem Rummel hält der Bezirksstadtrat für ein nicht allzu großes Problem. Nur eine Musikanlage komme auf dem Gelände zum Einsatz.
»Mir sind nahezu keine Beschwerden wegen Lärm zu Ohren gekommen. Meistens geht es eher um die Parksituation vor Ort«, sagt Schaefer. Dabei habe beim Prüfvorgang gerade die Nähe zur U-Bahnhof Magdalenenstraße für den Standort gesprochen. Zugleich hätten Anwohnerinnen und Anwohner deutlich gemacht, dass sie selbst keinen zusätzlichen, großen Parkplatz auf dem Gelände wünschen. »Wir haben den Veranstalter darum gebeten, ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass vor Ort keine Parkplätze zur Verfügung stehen. Vorgesehen ist eigentlich nur die Anfahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln.«
Dass Besucherinnen und Besucher die Parkplätze im Wohngebiet benutzen, ist an der Albert-Hößler-Straße allerdings offensichtlich. »Wir hatten kürzlich einen Termin mit der Polizei. Wir werden die Kontrollen in den Abendstunden verstärken«, verspricht Schaefer. Allerdings könne der Bezirk nur gegen Falschparkerinnen und Falschparker vorgehen, nicht aber gegen diejenigen, die sich ordnungsgemäß einen Parkplatz in der Nachbarschaft suchen. »Es gibt kein Recht darauf, einen Parkplatz vor der eigenen Tür zu bekommen«, sagt der CDU-Mann. Die Hauptverantwortung, Konflikte zu klären, sieht der Stadtrat jedoch beim Veranstalter.
Von dem Plädoyer für Bus und Bahn hat der Rummelbesucher Dave Geroldt nichts mitbekommen. Gerade hat er sich zusammen mit zwei Freunden etwas zu essen an einem der Stände geholt. »Ich bin mit dem Auto hier und habe mir irgendwo in der Nähe einen Parkplatz gesucht«, sagt er zu »nd«. Aus den unterschiedlichsten Ecken Berlins haben die drei Männer den Weg an die Frankfurter Allee gefunden. Der Rummel gefällt ihnen. Gerade mittwochs, wenn die Achterbahnfahrt nur drei statt sechs Euro kostet, lohne es sich, vorbeizuschauen.
Über den Ärger in der Nachbarschaft ist man geteilter Meinung. »Ich komme selbst aus der Veranstaltungsbranche und auch da gibt es leider immer ein, zwei Spielverderber«, sagt Martin Martini, der sich als Schlagersänger vorstellt. Dave Geroldt zeigt hingegen Verständnis: »Wenn du in ein Wohngebiet ziehst, gehst du natürlich nicht davon aus, dass dich da Lärm und Bling-Bling erwartet.« Dass hier und da eine gewisse Engstirnigkeit mitspiele, sei schade, die Aufregung aber nachvollziehbar.
Wie der Betreiber auf nd-Anfrage mitteilt, waren die Optionen während der Suche nach dem passenden Standort allerdings begrenzt. »Es gab da noch die Rennbahn in Karlshorst«, sagt ein Sprecher des Veranstalters. »Aufgrund der schlechten Anbindung an die öffentlichen Verkehrsmittel ließ sich das aber nicht realisieren.«
Dem Veranstalter sei von Anfang an klar gewesen, dass man an der Frankfurter Allee massiv für den Nahverkehr werde werben müssen. »Wir tun, was wir können«, beteuert der Sprecher. In den sozialen Medien und auf der eigenen Webseite weise man immer wieder auf die fehlenden Parkplätze vor Ort hin.
Auch für mögliche Beschwerden durch die Anwohnerschaft hätten die Betreiberinnen eine Hotline eingerichtet. Der Sprecher berichtet von anfänglich etwa fünf Anrufen pro Tag, inzwischen aber bleibe das Telefon stumm. Das Veranstaltungsbüro vor Ort habe ebenso kaum etwas zu berichten. »Vor allem sind Beschwerden nicht über die vorgesehenen Organe eingegangen, sondern über Nachbarinnen und Nachbarn, die sich an die Presse wenden.«
Würden Probleme gemeldet, bemühe man sich umgehend um Lösungen, heißt es von den Veranstalterinnen. So habe man ein grünes Licht, das nachts in eine der umliegenden Wohnungen strahlte, auf eine Beschwerde hin umgehend abgestellt. Zudem wurden Rummel-Gutscheine im Wert von jeweils 100 Euro für die Anwohnerinnen und Anwohner verteilt. »Die Beschwerden werden sehr ernst genommen, obwohl sie zum Teil gar nicht im Kompetenzbereich des Veranstalters liegen«, sagt der Sprecher. Die bisherige Bilanz zeige: Die Mehrheit der Menschen will den Rummel. In engen deutschen Innenstädten würden zum Teil Klinken von Haustüren abgeschraubt, um ähnliche Veranstaltungen zu ermöglichen.
Nichtsdestotrotz: Ganze 52 Tage, vom 4. November bis zum 25. Dezember, wird die Nachbarschaft dem »Winterzauber« in diesem Jahr ausgesetzt. Berichte, dass Lichtenberg bereits plant, den Weihnachtsmarkt auch im nächsten Jahr an der Frankfurter Allee auszutragen, weist Bezirksstadtrat Schaefer von sich: »Davon weiß ich nichts, das müsste erst einmal neu genehmigt werden.« Bisherige Erfahrungen könnten dann in die neue Beurteilung miteinfließen, die Öffnungszeiten noch einmal angepasst werden.
Doch ein absehbares Ende hat der Rummel an der Frankfurter Allee ohnehin. Denn Harry van Caem, Eigentümer des Grundstücks, hat große Pläne: Früher oder später soll auf dem Gelände der »Van-Caem-Park« entstehen, ein Bürokomplex mit rund 110 000 Quadratmetern Nutzfläche. Promo-Bilder zeigen riesige Torbögen, einen Springbrunnen und Luxuswagen, die vor einem rotem Teppich halten. Van Caem selbst hatte 2019 mit einer Spende in Höhe von 60 000 Euro an den CDU-Kreisverband in Lichtenberg für Schlagzeilen gesorgt. In der Albert-Hößler-Straße könnte also auch die künftige Nachbarschaft für Missfallen sorgen.
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