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Zwischen Tempeln und Vulkanen
Auf den Spuren der Maya-Traditionen durch Guatemala
Ihre Augen leuchten, als ich ihr zufällig vor den Tempeln des Hauptplatzes der Maya-Stätte Tikal begegne. Drei Jahre musste Berta Lopez wegen der Pandemie auf diesen Moment warten. Nun, nach mehr als 13 Stunden Busfahrt von Queztaltenango nach Tikal, ist die Maya-Frau einfach nur glücklich, es zu der Stätte geschafft zu haben, die ihrem Volk so viel bedeutet. »Jeden Maya erfüllen die beeindruckenden Tempelpyramiden aus der Blütezeit unserer Kultur im achten Jahrhundert mit großem Stolz«, übersetzt Bertas Enkel ihre Erklärung ins Englische. »Hier sind wir unseren Ahnen ganz nah, schöpfen neue Kraft und spüren bei Zeremonien den engen Zusammenhalt unserer Gemeinschaft.« Berta und ihr Enkel haben einen guten Zeitpunkt für ihren Besuch gewählt. Es ist der Freitag vor dem Tag der Toten (Allerheiligen), noch ist die Schar der Besucher überschaubar, bevor der große Ansturm am Wochenende beginnt.
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Auch die angereisten Touristen aus dem Ausland sind von den architektonischen, wirtschaftlichen und astronomischen Leistungen der Maya beeindruckt. Wissenschaftler gehen davon aus, dass rund um die Tempelanlagen bis zu 100 000 Menschen lebten, Mais, Bohnen, Chili, Tomaten und Kürbisse anbauten, Vieh züchteten und regen Handel betrieben, der zu einem gewissen Wohlstand reichte. Blickt man von der Aussichtsplattform des 65 Meter hohen Tempels Nummer vier in Richtung des Hauptplatzes, sehen die Rückseiten der Tempel zwei und drei wie zu groß geratene Grabsteine aus. In der Tat fanden die größten Herrscher der Maya in den höchsten Tempeln ihre letzte Ruhestätte. »Bei den Gebeinen des Herrschers Ah Cacao entdeckte man im Tempel Nummer eins wertvollen Jadeschmuck mit einem Gesamtgewicht von 17 Pfund«, lässt Nationalparkranger Cesar Hernandez seine Gäste aus Deutschland wissen. »Leider wurden bei frühen Ausgrabungen etwa 80 Prozent der Grabbeilagen entwendet, die man heute zum überwiegenden Teil in privaten Sammlungen vermutet.«
Um die gewaltigen Grabtempel herum gruppieren sich kleinere, pyramidenförmige Bauwerke, die genau nach dem Stand der Sonne am 21. März, Juni, September und Dezember ausgerichtet sind und den Priestern wichtige Hinweise für den Wechsel von Trocken- und Regenzeit gaben sowie den Zeitpunkt für Aussaat und Ernte bestimmten. Ein ausgeklügeltes System, das offensichtlich gut funktionierte, bis im 9. Jahrhundert eine lange Dürreperiode, gepaart mit Überbevölkerung und kriegerischen Auseinandersetzungen zu einem Ende der Blütezeit führte. Das mächtige Reich Tikal verwaiste, und die Natur eroberte sich die von den Menschen gerodete und bebaute Region zurück. Mit dem von Cesar vermittelten Wissen im Hinterkopf besteigt man am späten Nachmittag den Tempel Nummer vier, lauscht in aller Stille den Rufen der Vögel, Pfauen und Brüllaffen, und mit etwas Fantasie kann man sich ein gewisses Bild vom damaligen Leben machen, während langsam die Sonne am Horizont verschwindet.
Anders als Berta fliegen wir von Tikal nach Guatemala City, um von dort mit einem Mietwagen zum vier Fahrstunden entfernten Atitlan-See aufzubrechen, der mit einer Fläche von 130 Quadratkilometern der zweitgrößte Guatemalas ist. Hier setzt sich die an den Seeufern lebende Bevölkerung zu 80 Prozent aus Nachfahren der Maya zusammen. Man sieht es an der traditionellen bunten Kleidung der Frauen und Mädchen, schmeckt die seit Jahrhunderten gleich gewürzten Gerichte, die ohne schwarze Bohnen, Chilisoße und Tomaten nicht auskommen. Doch statt zu Füßen steinerner Tempel leben die Maya hier im Angesicht dreier Vulkane: Atitlan, Toliman und San Pedro. Der malerische, auf über 1500 Höhenmetern im westlichen Hochland Guatemalas gelegene See füllte sich in der Caldera eines Supervulkans, der vor etwa 84 000 Jahren explodierte.
Während die von den Vulkanen ausgeworfenen Mineralien ein Segen für die Landwirtschaft sind, verursachen Hurrikane immer wieder immense Schäden. »Die größten richteten die Stürme und Regenmassen in den Jahren 2005 und 2010 an«, erinnert sich Reiseleiterin Laura Calderon. »10 000 Menschen wurden von den Naturkatastrophen in den Tod gerissen.«
Läuft man durch Panajachel oder fährt mit dem Boot zum gegenüberliegenden San Juan La Laguna, so ist von den einstigen Verwüstungen auf den ersten Blick nichts mehr zu erkennen. Unterstützt von internationalen Stiftungen und NGOs ergriffen beispielsweise die Bewohner von San Juan in Genossenschaften und privat die Initiative, um eine touristische Infrastruktur zu schaffen, die es vor den Katastrophen nicht oder nur im Ansatz gab. Heute ist der früher wenig beachtete Ort ein kleiner Touristenmagnet.
Zuerst kamen nach der Pandemie Besucher aus Guatemala, jetzt trifft man zunehmend auch auf ausländische Gäste, die in kleinen Hotels oder B & Bs unterkommen. Vor dem Hafen wenden Tortilla-Bäckerinnen ihre Fladen, Hühnchen- und Schweinefleisch brutzelt auf kleinen Kochplatten, Verkaufsstände mit Keramik, Leder und Textilien warten auf kauflustige Kunden. Trikes, die örtlichen Tuk-Tuks, befördern die Ankommenden zu ihren Unterkünften oder zu den Startpunkten von Wanderrouten.
Eine der schönsten Kurzwanderungen führt über 362 Treppenstufen auf eine erst nach der Pandemie errichtete Aussichtsplattform, von der aus man einen traumhaften Blick auf den riesigen See und die Vulkane hat. Getränkeverkäufer und einheimische Gäste verbreiten mit ihrem herzhaften Lachen Frohsinn, und die gute Stimmung fördert Kontakte. Man teilt die Begeisterung, unterstützt sich gegenseitig beim Fotografieren und tauscht Eindrücke aus, so weit es die Sprachkenntnisse zulassen.
Geselliges Treiben erwartet die deutschen Gäste auch auf dem farbenfrohen Markt in Chichicastenango. Ebenso geschäftig geht es auf dem benachbarten Friedhof zu. Jung und Alt versammelt sich am Samstag vor dem Tag der Toten an den Gräbern der Ahnen. Verwandte und Freunde packen ihr Picknick aus, unterhalten sich und feiern oder leisten sich eine Zeremonie mit einem Schamanen, der symbolisch Leckerbissen und Schnaps in einem Feuer opfert. Umrahmt von prächtigen Blumengestecken erhalten Grabsteine eine Farbauffrischung. Traditionelle Maya-Riten gehen eine Symbiose mit katholischen Glaubensbekenntnissen ein, und der Friedhof verwandelt sich in einen Ort der Lebensfreude.
Die Recherche wurde von CATA (Central America
Tourism Agency) unterstützt.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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