Geburtsurkunden: Im Zweifel gegen die Kinder

Berliner Standesämter stellen Geburtsurkunden oft nur nach strenger Prüfung aus, nichtdeutsche Eltern wie Laetitia warten seit Jahren

  • Nora Noll
  • Lesedauer: 7 Min.

Laetitias Stimme ist belegt. »Das stresst mich so, das sperrt mich ein«, sagt sie auf Französisch. Kurz ist es still, dann klingt es durch das Telefon so, als würde sie weinen: »Ich fühle mich von allem abgeschnitten, ich bleibe nur zu Hause.«

Es ist eines von mehreren Gesprächen, in denen Laetitia ihre Geschichte erzählt. Seit bald vier Jahren wartet sie auf die Geburtsurkunde ihrer Tochter. Die dreijährige Pamela kann nicht in die Kita gehen, bald endet ihre vorläufige Krankenversicherung. Mutter wie Kind leben ohne sicheren Aufenthaltsstatus in Berlin. Das alles, weil sich das Standesamt Charlottenburg querstellt. Die Beamt*innen dort prüfen Laetitias kamerunische Dokumente – und das seit Jahren. So berichtet es Laetitia und so geht es aus den behördlichen Briefen hervor, die sie der Journalistin zeigt.

Weil Laetitia aktuell mit anwaltlicher Hilfe einen Rechtsstreit gegen das Amt führt, möchte sie nicht unter ihrem richtigen Namen in der Zeitung stehen. Trotzdem will sie ihre Situation öffentlich machen, auch weil sie nicht die einzige Betroffene ist. Offizielle Zahlen zu nicht erfolgten Beurkundungen in Berliner Standesämtern gibt es zwar nicht. Aber Anwält*innen und Beratungsstellen berichten regelmäßig von Fällen, wo ausländische Elternteile Monate oder Jahre auf die Geburtsurkunden ihrer Kinder warten.

»Dass sie alle gekommen sind, zeigt: Das Thema brennt unter den Nägeln«, sagt Katarina Niewiedzial, die Beauftragte des Senats für Integration und Migration, vor den rund hundert Gästen im Publikum. Zusammen mit der Monitoring-Stelle UN-Kinderrechtskonvention des Deutschen Instituts für Menschenrechte hat sie am Montag zu einer Veranstaltung eingeladen mit dem Titel: »Jedes Kind hat das Recht auf eine Geburtsurkunde«.

Zumindest sollte jedes Kind das Recht haben. »Das Kind ist unverzüglich nach seiner Geburt in ein Register einzutragen«, heißt es in Artikel 7 der Kinderrechtskonvention, zu deren Umsetzung sich Deutschland verpflichtet hat. Die Monitoringstelle kommt jedoch zu dem Schluss, dass nicht allen Kindern dieses Recht tatsächlich zukommt. »Gerade kürzlich erhielt ich wieder den Anruf einer Mutter, die den Kitaplatz verloren hat, weil sie nur den Registerauszug und keine Geburtsurkunde vorlegen konnte«, so Sophie Funke von dem Deutschen Institut für Menschenrechte. Dieses Ersatzdokument gilt zwar als der Urkunde gleichwertig, in der Praxis wird es jedoch von vielen Stellen nicht anerkannt.

Häufig liegt das Problem bei der Identitätsfeststellung eines Elternteils. Um die Urkunde mit den darin einzutragenden Eltern auszustellen, verlangt das Standesamt in der Regel entweder den Pass oder ein Ausweispapier in Verbindung mit der Geburtsurkunde von nichtdeutschen Müttern wie Vätern. Beate Tripp vom Bundesverband der Deutschen Standesbeamtinnen und Standesbeamten drückt es in der Podiumsdiskussion so aus: »Wir können den Registereintrag erst fertigstellen, wenn wir vom Inhalt überzeugt sind.«

Doch nicht alle Migrant*innen und Geflüchteten kommen einfach so an diese Dokumente. Inigo Valdenebro ist Anwalt und arbeitet als Berater bei Al-Muntada Plus. Er berichtet am Montag auf dem Podium von typischen Beratungsfällen. So gebe es Länder mit »defizitärem Urkundenwesen« wie etwa Somalia, wo Geburtsurkunden schlicht nicht ausgestellt würden, oder Länder wie Eritrea oder Afghanistan, »wo die Beschaffung unzumutbar ist«.

Manche Beamt*innen würden trotz derartiger Schwierigkeiten nicht ihren Ermessensspielraum nutzen und die Vorschriften besonders strikt auslegen. Valdenebro erzählt von einem Vater, dem die Eintragung in die Geburtsurkunde verwehrt wurde, weil er seine kamerunische Geburtsurkunde nicht vorlegen konnte. »Aber er hatte einen deutschen Ausweis. Die Sache war so offensichtlich, trotzdem wurde nicht beurkundet.« Erst eine Entscheidung des Oberlandesgerichtes gab dem Vater recht, »aber ich finde es unmöglich, dass man dafür bis zum Oberlandesgericht muss.«

Dirk Siegfried, ebenfalls Anwalt, stimmt seinem Kollegen zu. »Ich habe den Eindruck, es gibt eine übertriebene Sorge in den Standesämtern, zu viel zu beurkunden.« Natürlich verstehe er, dass die Beamt*innen Informationen prüfen müssten, um Fehler zu vermeiden, »aber es kann auch ein Fehler sein, gar nicht zu beurkunden.« In Berlin hake es seiner Erfahrung nach vor allem bei der Standesamtsaufsicht. »Mir sagen Standesbeamte oft: ›Das kriege ich bei der Aufsicht nicht durch.‹ Die Aufsicht hat hier zu viel Macht und entscheidet leider selten wohlwollend.«

Fehlendes Wohlwollen – oder struktureller Rassismus? Gerade wenn durch die Geburt eines Kindes mit einem deutschen Elternteil ein Aufenthaltsrecht für das andere Elternteil entsteht, überprüfen Standesämter den Antrag auf Missbräuchlichkeit. »Wir reden die ganze Zeit darum herum«, sagt Valdenebro, »aber am Ende ist das eine Migrationsrechtsdebatte, verlagert auf das Personenstandsrecht«. Standesämter oder die Standesamtsaufsicht nähmen mitunter die Rolle der Ausländerbehörde ein.

Laetitia kann das Misstrauen des Standesamtes nicht nachvollziehen. Vor fünf Jahren kommt sie von Kamerun nach Berlin, lernt den deutschen Vater ihrer Tochter kennen und bringt Pamela in einem Berliner Krankenhaus zur Welt. Beim Standesamt Charlottenburg beantragt sie im Sommer 2019 eine Geburtsurkunde, die Vaterschaftsanerkennung liegt vor, ebenso Laetitias Pass.

Was dem Amt fehlt, ist ein sogenannter Ledigkeitsbescheid: Der Beweis, dass Laetitia in Kamerun nicht verheiratet ist und dementsprechend kein anderer Mann Anspruch auf die Vaterschaft erheben kann. Das Dokument, das sie sich aus ihrem Herkunftsland schicken lässt und im Sommer 2020 vorlegt, reicht der deutschen Behörde jedoch nicht aus. Sie leitet ein Prüfungsverfahren ein und lässt einen Vertrauensanwalt in Kamerun Laetitias Angaben nachvollziehen. Laetita muss die Kosten des Prozederes selbst bezahlen: 625 Euro.

Parallel dazu läuft ein Asylverfahren. Im Zuge der sogenannten Verteilung von Asylbewerber*innen schickt das Landesamt für Einwanderung Mutter und Kind vier Monate nach Pamelas Geburt in eine Unterkunft in Sachsen-Anhalt – obwohl Pamelas Vater in Berlin lebt. Zwei Jahre, bis Ende 2021, verbringen die beiden in dem Wohnheim. »Es war die Hölle. Es ist sehr abgeschieden und nur zweimal die Woche gibt es einen Bus, um in die nächste Stadt zu fahren.«

Von dem Standesamt hört sie in dieser Zeit: nichts. Für Laetitia und ihr Kind bedeutet das ein Leben ohne jegliche Absicherung. »Pamela hat seit ihrer Geburt keinen Cent bekommen vom Staat, nicht einmal eine Windel«, erzählt Laetitia. Bald wird auch Pamelas Krankenversicherung enden, die über den Vater läuft und nun die Vorlage der Geburtsurkunde verlangt.

Weil Pamela ohne Geburtsurkunde keine deutsche Staatsbürgerschaft über den Vater bekommt, hat auch Laetitia bisher keinen sicheren Aufenthaltstitel. Seit der Ablehnung ihres Asylantrages gilt sie offiziell als ausreisepflichtig, bekommt sie kein Geld mehr und darf weder arbeiten noch eine Ausbildung anfangen. »Ich kann nicht selbstbestimmt leben«, fasst sie zusammen.

Dazu kommt die Angst vor der Abschiebung. Als eine Bekannte aus Ghana, die ebenfalls auf die Geburtsurkunde ihres Kindes wartet, aus dem gemeinsamen Heim abgeschoben wird, entschließt sich Laetitia, zurück nach Berlin zu gehen. Sie findet über Bekannte ein Zimmer. Die Miete bezahlt die Schlafplatzorga, eine aktivistische Gruppe zur Wohnraumvermittlung für wohnungslose Geflüchtete. »Es ist so, so viel besser hier in Berlin«, sagt sie. Dennoch verfolgt sie auch hier die Angst vor Polizeikontrollen und einer plötzlichen Abschiebung. Sie verlässt nur selten das Haus.

Anfang 2023 kommt die Mitteilung: Der Vertrauensanwalt in Kamerun konnte Laetitias Ledigkeit nicht beweisen. Seitdem versucht ihr Anwalt, die Urkunde über den Weg der eidesstattlichen Erklärung zu erhalten. »Ich verstehe einfach nicht, warum sie mir nicht glauben. Ich bin nicht verheiratet. Und was wollen sie noch verifizieren? Sie wissen, dass ich die Mutter bin, der Vater hat die Vaterschaft bestätigt. Dass sie mir nicht glauben, ist eine Art Rassismus.«

Valdenebro fordert angesichts der vielen Fälle unregistrierter Kinder ein nachvollziehbares und transparentes System bei den Standesämtern. »Dann könnten wir als Beratungsstelle wenigstens sagen, mit diesen und jenen Dokumenten bekommen sie sicher die Urkunde.« Der Anwalt Dirk Siegfried hat noch einen anderen Vorschlag: »Wenn das Land die Kosten trägt für den Vertrauensanwalt, und das ist eigentlich schon geltendes Recht, dann würde sich das Problem aus Kostengründen schnell erledigen.« Bei Summen von bis zu 1200 Euro würde sich der Staat die aufwendige Prüfung dann zweimal überlegen.

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