Man kann sich gar nicht entscheiden, welcher Blick spektakulärer ist: Der Anblick auf die beiden Schiffshebewerke in Niederfinow, des würdigen alten und des futuristischen neuen Werks? Oder der herrliche Blick von einem dieser beiden »Türme« weit in das umgebende Oderbruch hinein?
Vor einigen Tagen bekam die großräumige Anlage eine bauliche Ergänzung: Eingeweiht wurde eine neue Bühne für Konzerte und Veranstaltungen sowie eine Art überdimensionierter Fotorahmen, der jedem Bild mit den beiden gewaltigen Hebewerk-Landmarken im Hintergrund die passende Fassung bietet. Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) ließ es sich nicht nehmen, bei der Einweihung das Wort zu ergreifen. Er zeigte sich überzeugt davon, dass mit der Freigabe des neuen Schiffshebewerks im Oktober 2022 eines der besucherstärksten Freizeitangebote im Kreis Barnim noch einmal an Bedeutung gewonnen hat. »Hier lässt sich Industriekultur in mehreren Phasen bestaunen. Niederfinow nutzt diese Chance.«
Jan Mönikes, Geschäftsführer der Wirtschafts- und Entwicklungsgesellschaft Niederfinow, betont: Kostenlos ist in Deutschland die Straßenbenutzung und ebenso kostenlos ist die Schleusung von Schiffen und Booten. Er hielt bei dieser Gelegenheit mit weiteren Wünschen nicht hinter dem Berg: Der Regierungschef möge dafür Sorge tragen, dass endlich im Umweltministerium die Fördermittel für das neue Sanitärzentrum freigegeben werden, das Entsorgungsmöglichkeiten für Wohnmobile oder Schiffsanleger bieten sollen. Und ein sehnlicher Wunsch wäre ferner die Genehmigung zum Bau eines Landungsplatzes für Bootsführer. Denn noch immer ist es so, dass die rund 15 000 geschleusten Boote – von Paddelbooten bis hin zu Yachten – pro Jahr nirgends an Land gehen können, damit die Mannschaften sich hier oder da umsehen und auch etwas Geld dalassen können.
Der heutige Besucher der beiden Industriekathedralen am Finowkanal ist gut erforscht[1]: Rund 150 000 kommen jedes Jahr, um dieses einmalige Schauspiel zu genießen, etwa die Hälfte lässt auch hier oder da ein paar Euro. Etwa jeder fünfte Besucher stammt aus Polen, weiß der Chef. Mönikes will erreichen, dass Gäste auch über Nacht bleiben können. Dem Berliner Rechtsanwalt obliegt, den Tourismus in der 600-Seelen-Gemeinde zu fördern, wobei er sich auf die wasserbaulichen Denkmale der Schiffshebewerke, die historische Schleusentreppe und den Finowkanal stützt. Es gehe dabei nicht allein um mehr Besucher, sondern auch darum, »die Verweil- und Wiederkehrquote zu erhöhen«. Der Fremdenverkehr wurde beim Bau des neuen Hebewerks berücksichtigt – im Unterschied zum alten Hebewerk, dessen Baubeginn 1927 war. »Die Anlage ist beispielsweise barrierefrei zugänglich«, sagt Mönikes.
Barnims Landrat Daniel Kurth (SPD) verwies darauf, dass zum Ausbau und zur Erweiterung des Transports auf dem Wasser einige Brücken über den Kanal angehoben werden mussten. Bei weiteren Brücken muss dies noch erledigt werden.[2] Es freue ihn, dass der Bund davon überzeugt werden konnte, diese Wasserstraße im Osten Deutschlands zu erhalten. Als Verbindung Berlins mit der Oder aber auch als Durchfahrt für Sport- und Freizeitboote bis hin zur Müritz. Was den Ausbau betreffe, liege »einiges auf Halde«, doch das Entscheidende für den Landrat: »Der Ausbau läuft.«
In einem fünfjährigen Probebetrieb sollen die »Kinderkrankheiten« der neuen Anlage behoben werden, sie erweist sich derzeit noch als störanfälliger als die alte. Kürzlich hat es einen vier Tage andauernden Komplettausfall gegeben. Der Parallelbetrieb läuft nun seit fast einem Jahr. Erst 2027 kann daran gedacht werden, das 1936 eingeweihte Schiffshebewerk Niederfinow aufs Altenteil zu schicken.
Allerdings ist die tagelange Hebepause für den Gesamtbetrieb kein großes Handycap gewesen, und was zu erledigen war – das Schleusen von ein paar Sport- und Freizeitbooten – wurde von dem alten Werk locker geleistet. Dafür aber ist sowohl die jüngere wie auch die ältere Ausgabe des Hebewerkes nicht gebaut worden, das sollte allenfalls Beiwerk sein. Und auch nicht dafür, dass ein weiterer spektakulärer Turm in den Himmel über dem Barnim ragt. Dass es sich hier nicht um Museen handelt, sagt der Geschäftsführer selbst. Beim Bau in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts wie auch nach der Wende war der Nutzen für den Schiffsverkehr entscheidend. Vor allem für den Frachtverkehr. Auf dessen Entwicklung wurden große Hoffnungen gesetzt. Die Schiffe, die mit dem neuen Werk 36 Meter gehoben oder gesenkt werden können, dürfen jetzt 50 Meter länger sein als zuvor. In der Hoffnung, dass hier ein reger Frachtverkehr abgewickelt werden kann, wurde eine halbe Milliarde Euro verbaut.
Doch es kam anders. Der eigentliche Frachtverkehr, für den vor fast 100 Jahren das Schiffshebewerk Niederfinow errichtet worden war und für den auch der moderne »Bruder« nach der Wende entstand, ist spektakulär eingebrochen. Die gehobenen oder gesenkten Schiffe mögen größer sein dürfen. Ihre Zahl hat aber deutlich abgenommen. Geschäftsführer Mönikes spricht davon, dass sich der Frachttransport auf ein Zehntel reduziert habe. Es wird kaum noch Kohle oder Schrott auf dem Wasser transportiert. Vor zehn Jahren passierten noch fünf Millionen Tonnen Fracht im Jahr das Hebewerk, nunmehr ist es noch eine halbe Million. Den Hauptverkehr habe man an die Straße verloren, räumte der Geschäftsführer ein. Die Hoffnung der Betreiber ruht nun auf Polen und dem Ostseehafen Stettin. Von dort soll die Rettung mit der Binnenfrachtschifffahrt kommen.
So wie hier ist überall in Ostdeutschland der Binnenwassertransport nach 1990 eingebrochen. In der DDR wurden die Wasserwege intensiv genutzt, eine moderne Schubprahm-Flotte schipperte über ihre Flüsse, Kanäle und Seen. Der Anteil des Wasser-Transports an der Gesamtmenge betrug 1988 über 30 Prozent. Heute ist er – allen ökologischen Bemühungen zum Trotz – kaum noch messbar.
In absehbarer Zeit wird das alte Schiffshebewerk Niederfinow »einspringen«, wenn der jüngere »Bruder« mal wieder ausfällt. Die Zuverlässigkeit der älteren Generation ist ja nicht nur hier ihr Markenzeichen. Eine Frau, die hier die Schleusen-Mechanismen bedient, wagt eine Vision: »Vielleicht wird es ja noch hundert.«
Die Schiffshebewerke können ganzjährig besichtigt werden. Besucherwege und Gebäude öffnen zwischen 10 und 18 Uhr für den Fußverkehr. Geführte Touren sind im Angebot.