Ritsch, ratsch. Ist damit alles gesagt über den Reißverschluss? Weit gefehlt. So alltäglich er heute scheint, hat er eine ungeahnte Technik- und Kulturgeschichte. Es gab nicht allein Whitcomb L. Judson, der ihn vor genau 130 Jahren in den USA zum Patent anmeldete. Weitere Erfinder und viel Werbung waren nötig, bis er in der Mode Einzug hielt.
Der Schriftsteller Kurt Tucholsky stellte sich 1928 vor, wie der Erfinder des Reißverschlusses ausgesehen haben mag: ein mürrischer Mann, Deutsch-Amerikaner und Buchhalter im Blumensamen-Handel. Eines Nachts kommt ihm eine Idee für die ungeliebte Handtasche seiner noch ungeliebteren Frau. In der Glosse macht Tucholsky aus dem armen Erfinder dank gieriger Investoren einen reichen Mann, der dann wieder alles verliert. Der Autor spielt virtuos mit Erfinder-Klischees. Am Ende heißt es bissig: »Kein Mensch kann sich erklären, warum, warum der Reißverschluss funktioniert.«
US-Erfinder Judson nervte der Legende nach das zeitraubende Zuschnüren von Stiefeln. Er interessierte sich Ende des 19. Jahrhunderts zwar eher für Druckluft-Straßenbahnen, doch nebenbei verbesserte er die bereits ältere Idee eines »ununterbrochenen Kleiderverschlusses«, der zu klobig für den Alltag war, entscheidend. Judsons »Clasp Locker« (Klammerverschluss), den er sich für Schuhe und Postsäcke vorstellen konnte, war eine Metall-Konstruktion aus Haken und Ösen mit einem Gleitmechanismus in der Mitte. Auf der Weltausstellung in Chicago im Jahr 1893 blieb jedoch die erhoffte Anerkennung aus – zu kompliziert, zu teuer, zu wenig zuverlässig.
Hat die Welt den Reißverschluss gebraucht? Oder glaubte eher ein Erfinder, dass sie ihn dringend braucht? Schon Tucholsky nahm die gegenläufigen Trends von Technikeuphorie und Fortschrittsskepsis aufs Korn. Für die Kulturwissenschaftlerin Gabriele Mentges steht auch die Reißverschluss-Idee im Kontext der Phänomene Bewegung und Beschleunigung im Industriezeitalter. Verlangt das Knöpfen oder Schnüren bis heute Fingerspitzengefühl, das Kinder mühsam lernen müssen, reicht beim Reißverschluss eine mechanische Handbewegung. Die Technik dahinter aber ist nicht im Handumdrehen zu verstehen – selbst die »Sendung mit der Maus« brauchte dafür fast vier Minuten.
Die Grundlage des heutigen Mechanismus mit winzigen Zähnchen, die beim Zuziehen ineinandergreifen, verdankt die Welt dem Schweden Gideon Sundbäck, der im rheinischen Bingen Maschinenbau studierte und in die USA auswanderte. Seine leichtgängigere Version fand im Ersten Weltkrieg, eingenäht in Lotsenkleidung, Freunde bei der US-Marine, später bei Überschuh-Herstellern. Die Patente und der Austausch zwischen alter und neuer Welt führten ab den 1920er Jahren auch in Europa zur Gründung von Reißverschlussfabriken, zum Beispiel in Nürnberg und Wuppertal, wie US-Forscher Robert Friedel belegt.
Viele Deutsche verbuchten den Reißverschluss schnell unter dem Label Moderne, ergänzt Friedel. Zuerst bei Lederwaren, dann bei groben Schuhen – erst später dann auch bei Kleidung. Wobei ein bayerischer Hosenfabrikant 1935 mächtig die Werbetrommel für seine neue Schlitz-Variante rühren musste. »Zuverlässig, elegant und reißverschlossen«, hieß es in der Anzeigenkampagne. In jeder Hose steckte ein Info-Zettel: »Mit Reißverschluss – weg sind die Querfalten, das seitliche Ausbeulen.«
Die Verschluss-Techniken bei Männer- und Frauenkleidung glichen sich erst im 20. Jahrhundert langsam an. Wobei Forscherinnen betonen, dass lange Reißverschlüsse am Rücken, die yogaähnliche Verrenkungen erfordern, der Damenmode vorbehalten blieben.
Einen hübschen und lautmalerischen Namen wie »Zipper« in den USA gibt es im Deutschen nicht. Es blieb beim eher technisch-sperrigen Wort Reißverschluss. Anders als der viel ältere Konkurrent Knopf fand er auch keinen Eingang in Metaphern wie »zugeknöpft«. Im Deutschen machte der Begriff nur im Straßenverkehr Karriere: mit dem Reißverschlussverfahren.
Vielleicht brauchte es für modische Ideen unkonventionelle Talente. So trumpfte die italienische Designerin Elsa Schiaparelli im Paris der 20er und 30er Jahre mit einem Kleid im Skelett-Look und surrealistischen Hüten auf. Anders als andere Modemacher ihrer Zeit fremdelte sie auch nicht mit dem »vulgären« Reißverschluss und setzte ihn, inzwischen auch aus Cellulose bunt gefertigt, ohne verschämte Blendleiste in der Haute Couture ein.
In der Nachkriegszeit, die biegsamere Modelle aus Kunststoff für die Massenkonfektion hervorbrachte, machte sich der metallene Reißverschluss im Rocker- und später auch im Punkmilieu Freunde – sogar ohne Funktion, als cooles Zierelement. Erotisch kam er in Lack und Leder als schneller Aufreißer daher. Die Platte »Sticky Fingers« der Rolling Stones von 1971, deren Reißverschluss-Cover mit hautenger Jeans Andy Warhol entworfen hatte, spielte auf ihre Art mit Prüderie.
Auf ganzer Linie gewonnen aber hat der Reißverschluss trotz vieler Verbesserungen bis heute nicht. Knöpfe, Haken und Ösen gibt es immer noch. dpa/nd