Behaupte doch keiner, ein pimmelgedrungenes Männerduo in einer Badewanne, streitend um eine Quietschente, sei einfach nur lustig. Nein, es ist nackter Kampf um Würde, »natürlich so infam verfremdet, dass wir Zuschauer aus der Welt der Wirklichkeit leichthin lügnerisch behaupten können, das Ganze hätte mit uns nichts zu tun« (Alexander Kluge[1]). Irrtum! Denn, blicken wir uns doch um, im Betrieb, im Büro, in uns selber: Da bildest du dir abends ein, dein Schäfchen im Trocknen zu haben, dabei saßt du doch ganztags in der Müller-Lüdenscheidt-Klöbner-Wanne; tust dich schwitzend wichtig mit politischen, parteilandschaftlichen Problemen, die im Grunde nur Entengröße haben; bist ein beflissener Ich-hab-recht-Soldat, natürlich im Geist des Guten, stehst aber letztlich im Sold von Wahrheiten, die auch morgen wieder im gurgelnden Schlusswort eines Wannenstöpsels untergehen werden.
Die Wanne als Welt, das genau ist Loriot! Er kam am Sonntag vor 100 Jahren in Brandenburg an der Havel zur Welt. Am 12. Tag im November, jenem geschichtstrübsten und geschichtsträchtigsten Monat der Deutschen. Den 11.11. hat er demnach als Ankunftstag auf dieser Erde verweigert. Sich so dem Karnevalsbeginn natal zu entziehen, war ein erster subversiver Akt – gegen die Grundphilosophie jenes teutonischen Faschings, der dem hässlichen Deutschen den hessischen Deutschen schunkelnd zur Seite gab. Und dessen Grundlehre lautet: Leute finden sich immer erst dann komisch, wenn sie nicht mehr sie selber sind; wer im Fasching lacht, zeigt nicht Fröhlichkeit, sondern Gehorsam; und wer sich in solcher Lage für humorvoll hält, der hält sich gefährlich leicht auch für einen Demokraten.
So etwas war nicht Sache eines Vicco von Bülow, der sich – nach dem Wappentier seiner bis ins 12. Jahrhundert nachweisbaren Familie – Loriot (Pirol) nannte. Mit Cartoons fing der Gebrauchswerber an, daraus wurden die Bildergeschichte und der Trickfilm, der Sketch, die Schauspielerei und die Regie (»Papa ante portas«, 1991). Vor allem steigerte sich der Erfinder Loriot zum Finder der unvergleichlichen Evelyn Hamann[2], die zum Beispiel als TV-Ansagerin die britischen Serienhelden Lord und Lady Hesketh-Fortescue in North Cothelstone Hall samt ihrer Verwandtschaft aus Nether Addlethorpe präsentierte.
Am Ende vieler Sketche strahlen Loriots Menschen, selbst wenn sie das Jodeldiplom besitzen (»Holleri du dödel di, diri diri dudl dö«), große Ratlosigkeit aus: Sie genießen zwar übermütig gern ein Gläschen Klöbener Krötenpfuhl, wissen aber nicht, mit welchen Kompetenzen sie ausgestattet sein müssten, um ihrer Verzweiflung keine weiteren Gründe zu liefern.
Vicco von Bülow war ein erklärter Liebhaber Richard Wagners. Nur wer derart innig verbündet ist mit radikaler ästhetischer Wucht, kann eines der größten Dramen schaffen: »Das Frühstücksei«. Schon dieser erste, einschneidende Satz! »Das Ei ist hart.« Nehmen wir noch die vielen von ihm gezeichneten Knollennasen und die von ihm gespielten Figuren wie den verwirrten Lotto-Millionär Lindemann oder Opa Hoppenstedt und sein »Tschingdarassabum«, und offenbar wird jener kalkulierte Verstandeswitz, der aus einer einzigen Utopie entsteht: Ach, die Welt wäre am schönsten, wäre sie ereignislos.
Die Welt ist aber nicht ereignislos, just dies treibt unaufhörlich in eine schauerlich peinliche Dramatik. Ein Mann transportiert ein Klavier in den Konzertsaal, und plötzlich schlägt er armschwingend nach einer Fliege. Prompt wird er von den Berliner Philharmonikern als Dirigent missverstanden und setzt so die Coriolan-Ouvertüre in Gang. Der Münchner Kritiker Joachim Kaiser hielt zu einem der Geburtstage Loriots eine grandiose Rede, die in der Metaphorik des Musikalischen alles Wesentliche von dessen Kunst erfasste: »jenen e-Moll-Gedanken im Es-Dur-Kosmos«.
Aus Tradition und Leidenschaft war Loriot Preuße. Ein Vorfahre beriet Friedrich II., und die Offiziere des 20. Juli 1944 nannte er eine Quelle seines Ehrgefühls. Sein Adel der Distanz war gelingende Suche nach Möglichkeiten, sich die Welt vom Leib zu halten. 1988 bei der DDR-Premiere seines Films »Ödipussi« betonte Loriot, auf der Bühne in Berlin, es sei doch erstaunlich, wie viele Zuschauer gekommen wären; er hätte vermutet, die seien zu dieser Zeit alle mit dem Aufbau des Sozialismus beschäftigt. »Dass mir das nicht einreißt!« Ein sagenhaft prophetischer Satz. Jeder wirkliche Komiker ist Kassandra: Ein Jahr später riss die Zeit wahrlich alles ein.
Sein Witz kam aus hartem Mühen. Denn: Wenn eine Arbeit Spaß macht, ist sie keine, sagte Heiner Müller. Die Freude fürs Perfekte schloss unbarmherziges Probieren ein. Dies ist die grundsätzliche Not des Humoristen, des Komikers: auf die Sekunde hin witzig sein zu müssen. Der Tragöde kann sich Zeit lassen, Tränen der Traurigkeit haben keine Eile. Aber Tränen, die gelacht werden sollen, benötigen die Technologie der punktgenauen Pointe.
Von seltsamen Leuten ist Loriots Welt bevölkert – sie existieren mit dieser immerwährenden Furcht, das Leben an einem Hierarchie-Platz zu verbringen, der nicht der ihre ist. Oder in Furcht, andere nicht zu durchschauen (Frauen vor allem). Wein- oder Staubsaugervertreter werden zu Sendboten eines verpfuschten Sinns von Leben und Leistung; das Krampflösende ist just das, was doch nur neue Kämpfe auslöst zwischen lauter hauptberuflich Verklemmten. Diese Menschen zwischen Sesselgruppen und Möbelhaus-Betten erleben ihr Pflichtbewusstsein und ihren Bieder-Sinn so, wie man eine Liebe am sinnigsten erlebt. Man erlebt eine Liebe am sinnigsten, wenn ihr alles entgegensteht.
Leben, ein Aufbruch in den Abgesang. Aber wie sanft, mit welch liebenswertem Verständnis dieses Hinaus- und Hinwegtrudeln doch, vom legendären grünen Sofa aus, erzählt werden kann! Loriot, er starb 2011, war ein Meister in jener klassischen Bürgerlichkeit, die längst außer Kultur geriet: Anarchie in gutem Ton; Radikalität mit Maß; Fiesheit in feinstem Geist. Bei Loriot ist Familie sterbensöd und bleibt als Bindemittel doch unsterblich. Also: Balance. Sie ist Leid und Erlösung. Man kann sich gut vorstellen, wie er heute, prototypisch für aktivistischen Eifer, jene Strebsamen zerlächeln würde, die nur noch nach Sternchen greifen und unter Weltveränderung zuvörderst Weltvergenderung verstehen
Er ist ein Philosoph. Denn er hat den wahren Faden der menschlichen Geschichte ins Bild gerückt – jene Nudel im Gesicht, die im Restaurant ein Rendezvous in eine Apokalypse verwandelt. Der Nudel langer Weg von der Lippe über die Nase zum Auge: Fausts Weg vom Himmel durch die Welt zur Hölle ist nicht weltergreifender, und Becketts Vergeblichkeitsspiele haben in dieser Nudel ihre neuzeitliche Bestätigung gefunden. Im Entsetzen Evelyn Hamanns, die fassungslos auf den wandernden Teigwaren-Partikel in des Mannes Antlitz blickt, spiegelt sich auch Joseph Conrads Raunen aus dem »Herz der Finsternis«, darin es heißt: »Ich habe das Grauen gesehen.«
Jene metaphorisch berüchtigte Suppe, die der Mensch vom Schicksal serviert bekommt und auszulöffeln hat, das ist bei Loriot der Kosakenzipfel oder der Jäger im Reisrand. Und der Versuch, ein Bild an der Wand aus dessen kaum merklicher Schieflage zu befreien, was ganz logisch mit einem Zimmerweltzusammenbruch endet – das offenbart die Tragödie des Menschen, der doch nur eines bewahren will: Haltung. Loriots guter Bürger will die gute alte Ordnung nicht aufgeben, und dafür entwickelt er einen hochkarätigen Eigensinn, der genau das zerstört, was es zu schützen galt.
So ist es eben: Wir wollen hinein ins Warme, Wonnige, und die Welt könnte wohlig sein wie das Bad in der Wanne, aber dann kommt das gnadenlose Gebot: »Die Ente bleibt draußen!«