Die Streikwelle rollt

In der Tarifrunde der Länder wird in dieser Woche vielerorts die Arbeit niedergelegt

Die Stimmung war kämpferisch, als sich vergangene Woche rund 1000 Beschäftigte im Rahmen der derzeit laufenden Tarifrunde der Länder in der Leipziger Peterskirche versammelten. Die Streikversammlung war Teil von zahlreichen weiteren Veranstaltungen, die im Vorfeld der nächsten Verhandlungen am 7. Dezember zu bundesweiten Warnstreiks mobilisierten. An diesem Montag finden in über 80 Städten an Hochschulen und Universitätskliniken Streiks und Protestaktionen statt. In den folgenden Tagen legen auch die Beschäftigten in den Stadtstaaten und Auszubildende die Arbeit nieder.

Für die rund 1,1 Millionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst der Länder geht es um 10,5 Prozent mehr Lohn, mindestens aber um ein Plus von 500 Euro brutto im Monat – mit Ausnahme von Hessen, wo eigene Verhandlungen stattfinden. Die Forderungen orientieren sich am Tarifabschluss in Bund und Kommunen vom April dieses Jahres und sollen auch auf die 1,4 Millionen Beamtinnen und Beamte der Länder übertragen werden.

Bislang nicht einheitlich tarifiert sind dagegen die studentischen Beschäftigten an den deutschen Hochschulen. Sie fordern einen Tarifvertrag mit einem Stundenlohn von mindestens 16,50 Euro brutto, einem Urlaubsanspruch von 30 Tagen im Jahr sowie einer Jahressonderzahlung. Auch wollen sie Kettenbefristungen abschaffen und einen Mindeststundenumfang von 40 Stunden pro Monat durchsetzen.

Die Not unter den rund 300 000 studentischen Beschäftigten ist groß. »Ich habe dieses Jahr meinen elften Vertrag als wissenschaftliche Hilfskraft unterschrieben«, berichtete eine Studentin der Universität Leipzig auf der Streikversammlung in der Peterskirche. Sie arbeite seit knapp drei Jahren als studentische Beschäftigte, teils mit Verträgen über sechs Monate, teilweise gingen sie nur über einen Monat. »Es ist für mich manchmal nicht klar, ob ich im nächsten Monat meine Miete bezahlen kann und das macht mich wütend«, kritisierte sie unter dem tosenden Applaus der Anwesenden.

Das ist kein individuelles Problem. Knapp 75 Prozent der studentisch Beschäftigten sind armutsgefährdet. Das geht aus einer bundesweiten Umfrage vom Bremer Institut für Arbeit und Wirtschaft unter rund 11 000 Studierenden hervor. Die Befragung wurde im Auftrag der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Verdi und der Tarifinitiative studentisch Beschäftigter (TVStud) durchgeführt. Eine Initiative, die seit fünf Jahren besteht und in Berlin bereits einen Tarifvertrag an den Hochschulen erstritten hat.

»Die studentischen Beschäftigten arbeiten unter prekären Bedingungen. Niedrige Löhne, Kettenbefristungen und unbezahlte Überstunden sind für sie Alltag«, betonte Verdi-Chef Frank Werneke zur laufenden Kampagne. »Diese größte Tariflücke im öffentlichen Dienst muss endlich geschlossen werden, denn nur sichere Stellen und eine angemessene Bezahlung ermöglichen kontinuierliche und gute wissenschaftliche Arbeit«, unterstrich er.

Auf nd-Anfrage zeigte sich der Verhandlungsführer der Länder, der Hamburger Finanzsenator Andreas Dressel (SPD), kompromissbereit. Zugleich betonte er aber, wenig Handlungsspielräume zu haben. Die Forderungen der Beschäftigten würden insgesamt rund 20,7 Milliarden Euro kosten. »Das ist für die Länder nicht leistbar. Bei aller Wertschätzung, die die Arbeit der Beschäftigten der Länder verdient, die sie jeden Tag für uns als Gesellschaft leisten«, teilte er mit.

Auch für die Streiks zeigte Dressel Verständnis. Es sei das gute Recht der Gewerkschaften, den Forderungen in Tarifverhandlungen mit Warnstreiks Nachdruck zu verleihen, betonte er. Allerdings liege vonseiten der Länder ein Angebot vor, auf das Verdi nicht eingegangen sei: »Wir haben zu allen Forderungen der Gewerkschaften, auch die nach einer Tarifierung für studentische Beschäftigte, Möglichkeiten aufgezeigt, wie man den Anliegen der Gewerkschaften in einem für die Länder machbaren Umfang Rechnung tragen kann«, erklärte Dressel.

Der Verdi-Bundesvorsitzende Frank Werneke kritisierte hingegen die Haltung der Arbeitgeber. Sie hätten auch in der zweiten Runde kein akzeptables Angebot vorgelegt. »Sie haben alle wesentlichen Forderungen und Erwartungen rundweg abgelehnt.« Dabei würden die Arbeitgeber die Augen vor dem massiven Personalmangel im öffentlichen Dienst der Länder, der Belastungssituation der Beschäftigten und der unzureichenden Bezahlung verschließen, bemängelte er.

Die Verhandlungen scheinen festgefahren. Denn auch aufseiten der Beschäftigten sind die Handlungsspielräume gering. Ihnen geht es darum, vor dem Hintergrund gestiegener Lebenshaltungskosten einen drastischen Reallohnverlust zu verhindern. Ein Tarifabschluss, der unter diesen Forderungen bleibt, wäre für viele Beschäftigte inakzeptabel, unterstrich Clara Aimée, Krankenpflegerin am Uniklinikum in Leipzig.

Schon die Forderung nach 10,5 Prozent mehr Lohn kann den Preisanstieg für lebensnotwendige Waren in diesem Jahr kaum ausgleichen. So lag die Inflationsrate für Lebensmittel im Juli laut Statistischem Bundesamt im Vergleich zum Vorjahresmonat bei etwa elf Prozent. Die Teuerungsrate aus dem Jahr zuvor ist darin nicht berücksichtigt.

Um im Vorfeld der dritten Verhandlungsrunde Druck auf die Arbeitgebervertretung aufzubauen, wollen die Gewerkschaften ihre Warnstreiks diese Woche weiter ausweiten. Neben dem Hochschulaktionstag am Montag legen am Dienstag auch Auszubildende und Praktikant*innen die Arbeit nieder. Für sie geht es um einen Sockelbetrag von 200 Euro mehr im Monat. Am Mittwoch sollen zudem die Beschäftigten der Stadtstaaten Bremen, Hamburg und Berlin in den Ausstand treten. Für sie fordert Verdi eine zusätzliche Sonderzulage von monatlich 300 Euro.

Dabei ist die aktuelle Streikwelle stark von einer aktivierenden Gewerkschaftsarbeit geprägt. So wurden die Forderungen zur Tarifrunde unter anderem durch selbstorganisierte Aktivengruppen und sogenannte Tarifbotschafter*innen erarbeitet. Sie übernehmen in den Betrieben eine Rolle bei der Mobilisierung zu den Protesten und Streiks und gehen damit über die traditionelle Mitgliedergewinnung hinaus.

Die verstärkte Aktivität an der Basis war auch in der Peterskirche in Leipzig bemerkbar, wo überwiegend Beschäftigte aus den Betrieben das Wort ergriffen. Doch damit steht viel auf dem Spiel. Denn bleibt das Verhandlungsergebnis hinter den Forderungen der Gewerkschaft zurück, könnte die Enttäuschung an der Basis groß sein.

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