Wie kann gegen rassistische Behörden vorgegangen werden? Mit dieser Frage beschäftigten sich die Teilnehmer*innen der Veranstaltung »Rassismus bei Inobhutnahmen« am Freitag in Friedrichshain. In das nd-Gebäude am Franz-Mehring-Platz hatten Berliner Initiativen wie Reachout und KOP Berlin, Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt, geladen.
»Jugendhilfemaßnahmen schaden schon durch die Angst vor Kindesentzug«, sagt Lea Ulmer, die zum Veranstaltungsthema promoviert. Die Aktivistin fordert Alternativen zur Einschaltung des Jugendamtes, die oft zu großen Schäden führe, dabei aber wenig helfe. Aus Angst vor dem Amt verzichteten Betroffene häuslicher Gewalt häufig darauf, sich Hilfe zu suchen. Als Alternative fordert Ulmer leichteren Zugang zu finanziellen und sozialen Hilfen, aber auch ein Umfeld für die Betroffenen, das erstmal nachfrage, statt sofort die Behörden einzuschalten. Zugleich brauche es rassismuskritische Fortbildungen für Polizei und Jugendämter.
Ein großes Problem stellen zudem fehlende Verständigungsmöglichkeiten zwischen Amt und Familie dar. Dolmetscher*innen sind im Kontakt nicht vorgesehen, werden aber oft dringend benötigt. Schriftlicher Kontakt erfolgt nur auf Deutsch. »Ich habe keine Dokumente jemals in anderer Sprache gesehen«, sagt Marie Melior, Anwältin für Familien-, Sozial- und Strafrecht. Oft wüssten die Betroffenen gar nicht, welche Rechte ihnen zustehen. »Es werden einfach so keine Angaben zur Unterbringung gemacht«, obwohl den Eltern diese Information zustehe, kritisiert Melior.
Hinzu kommen Sparmaßnahmen[1], denen die Berliner Jugendämter unterliegen. Das Jugendamt, heißt es in der Runde, schalte sich erst dann ein, wenn es eine neue Unterbringung des Kindes als notwendig ansehe. Im Berliner Frauenhaus BORA wird das ähnlich wahrgenommen. Die darauffolgenden Inobhutnahmen werden hier allerdings nicht als unangemessen wahrgenommen werden. »Ich habe bisher keine Inobhutnahme erlebt, die nicht gerechtfertigt gewesen wäre«, sagt Claudia Cohn, Geschäftsführerin des BORA e.V. zu »nd«. Die Überlastung der Ämter steige, freie Krisenplätze für Kinder seien rar und teuer.
Doch eine Inobhutnahme ist nicht nur kostspielig, sie verläuft mitunter auch traumatisch für Eltern und Kinder. Besonders prekär ist die Situation geflüchteter Mütter*, die bei ihrem Alltag in Asylunterkünften[2] großen Herausforderungen gegenüberstehen.
»Das System sieht Sozialleistungen für Geflüchtete nicht vor«, führt Anwältin Melior aus. Unterstützung sollen sie sich nach dieser Logik in ihrem Herkunftsland suchen. Cintia Ferreira, die das Berliner Projekt Space2groW leitet, erinnert sich an einen Fall von Inobhutnahme in einer Berliner Geflüchtetenunterkunft: Drei Jahre habe es gedauert, bis die Mutter anwaltliche Hilfe bekam.
Hinzu kommt, dass Women of Color, also nicht-weiße Frauen, einer Mehrfachdiskriminierung unterliegen. Biplab Basu von Reachout und KOP Berlin erzählt von einer Frau, die zwei Kinder von verschiedenen Vätern hatte. Das gemeinsame Kind sollte beim weißen, deutschen Vater bleiben, der die Frau jedoch zuvor geschlagen hatte. »Dann habe ich verstanden, dass es ein massives sexistisches Problem ist – aber nicht nur.«
Die Mütter sind dabei massivem Druck ausgesetzt, zu funktionieren. Betroffene fühlen sich dabei »an perfekten deutschen Müttern« gemessen. Aus diesem Grund suchen sich viele keine Hilfe und kritisieren auch nicht den Rassismus, den sie durch Behörden erfahren[3]: aus Angst, am Ende dafür die Rechnung zu tragen.
Dass bei Betroffenen die Angst größer ist, gegen Rassismus vorzugehen, als ihn weiter zu erleben, hebt erneut das Machtgefälle zwischen ihnen und den Behörden. Basu fasst das Problem zusammen: »Rassismus wird weitergeführt, weil es keine Sanktionen gibt.«