Streik der Metallindustrie: Heißes Eisen Arbeitskampf

In der österreichischen Metallindustrie bereitet man sich auf umfassende Streiks vor

  • Stefan Schocher
  • Lesedauer: 4 Min.
Legen in Österreich bald die Arbeit nieder: Beschäftigte in der Metallindustrie fordern eine zweistellige Lohnerhöhung.
Legen in Österreich bald die Arbeit nieder: Beschäftigte in der Metallindustrie fordern eine zweistellige Lohnerhöhung.

Es sind die semantischen Feinheiten, die den Unterschied machen – aber bei weitem nicht nur die. Die Arbeitgeber sprechen von einem Streik, der »ausgeweitet« werde und einer »grotesken« Haltung der Arbeitnehmervertreter – aus Sicht der Beschäftigten wiederum wird der Ausstand »vertieft« und das Angebot der Unternehmen als »Frechheit« dargestellt.

So oder so: Im Nicht-Streikland Österreich wird gestreikt. Die mittlerweile siebente Verhandlungsrunde zwischen Arbeitgeberseite und Gewerkschaften über einen Kollektivvertrag für die Metallindustrie wurde ergebnislos abgebrochen. Das betrifft über 1200 Unternehmen mit rund 140 000 Beschäftigten in den Industriezweigen Maschinenbau, Anlagenbau, Stahlbau, Metallwaren und Gießerei.

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Und wenn jetzt von einer »Vertiefung« oder einer »Ausweitung« der Streiks die Rede ist: Schon seit Anfang November wird in Betrieben an einem Arbeitstag die Woche gestreikt. Es dürfte sich noch ziehen: Die nächste Verhandlungsrunde für die Metallindustrie findet erst am 30. November statt.

Dabei ist der Arbeitskampf in der Metallindustrie möglicherweise nur der Anfang. In den Verhandlungsrunden um die Kollektivverträge gibt diese Branche üblicherweise die Richtung vor – der Ausgang gibt dann für gewöhnlich den Richtwert für andere Sektoren vor. Dass es jetzt beim Abschluss der Metaller hakt, ist also ein Zeichen für bevorstehendes Ungemach in anderen Branchen.

Das zeigt sich bereits: Denn auch im Handel wird schon mit Streiks gedroht. Eine Verhandlungsrunde wurde zuletzt abgebrochen. Seitens der Arbeitgeber wurde beklagt, dass die Beschäftigten ihre Forderung gegenüber einer vorangegangenen Runde noch erhöht hätten und »absolut nicht bereit« gewesen seien, »ernsthaft über unser Angebot zu diskutieren«. Seitens der Arbeitnehmer wiederum lässt man da erst einmal die Zeit arbeiten. Denn eine Drohkulisse naht unweigerlich: das Weihnachtsgeschäft. Gestreikt wird allerdings noch nicht.

Es ist ein Problemsüppchen, das sich aus Inflation, einem aufziehenden Wahlkampf, allgemeiner Politikverdrossenheit und mittlerweile auch einer gewissen Portion Verbissenheit zusammengebraut hat. Die Teuerungsrate in Österreich ist hoch – weit über dem Durchschnitt in der Europäischen Union. In der EU liegt sie aktuell im Schnitt bei 4,3 Prozent, in Österreich nach einem deutlichen Rückgang noch bei 6,1. Im Jahresschnitt dürften es allerdings weit über neun Prozent sein – wenn nicht sogar im zweistelligen Bereich. In den Verhandlungen zwischen Wirtschaft und Gewerkschaften wird jedenfalls von einer Preissteigerung in der Höhe von 9,6 Prozent ausgegangen – der Inflationsrate von September 2022 bis September 2023.

Und so stehen die Angebote bei den Metallern aktuell: Die Arbeitgeber bieten 8,2 Prozent Erhöhung, die Arbeitnehmer forderten bis zuletzt 11,6 Prozent, senkten diese Forderung nun aber auf 10,6 Prozent und soziale Staffelung ab; die Arbeitgeberseite bot zu ihrem ursprünglichen Angebot noch eine einmalige Zahlung. Die Verhandlungsmasse der Unternehmen: Im Austausch für ein Entgegenkommen seitens der Arbeitgeber hätten diese eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen sowie bei Zusatzzahlungen wie Mehrarbeitszuschlägen und Dienstreisepauschalen vorgeschlagen, sagt die Gewerkschaft – das wollte die wiederum nicht akzeptieren.

Chefverhandler der Metallgewerkschaft »Pro Ge«, Reinhold Binder, monierte: »Es ist eine unfassbare Grauslichkeit, was die Arbeitgeber da bieten.«

Und Christian Knill, Obmann des Fachverbandes der metalltechnischen Industrie in der Wirtschaftskammer, sagte über den Abbruch der Gespräche: »Das ist grotesk.«

Eine derartige Showdown-Rhetorik wäre vor dem Beginn von Verhandlungen an sich nicht außergewöhnlich, ginge sie doch als Brusttrommeln durch. Zu einem solch fortgeschrittenen Zeitpunkt allerdings ist sie bemerkenswert. Ungewöhnlich ist allein schon der Umstand des Streiks an sich. Denn in Österreichs bislang einigermaßen ausbalanciertem System der Sozialpartnerschaft sind Streiks äußerst selten – oder schnell vorbei. Laut Streikstatistik streiken in Europa nur die Schweizer und die Slowaken weniger. Üblicherweise einigt man sich – trotz vorangegangener Brachial-Rhetorik auf beiden Seiten.

Allerdings hat es in Österreich auch seit 1952 nicht mehr eine so hohe Inflation gegeben. Hinzu kommt eine an sich aufgeheizte politische Stimmung. Und: Im kommenden Jahr wird gewählt.

So ist es kein Zufall, dass die sozialdemokratische SPÖ den Gewerkschaften über parteinahe Körperschaften sowie auch selbst demonstrativ den Rücken stärkt – nicht ohne Seitenhiebe auf politische Mitbewerber freilich. Das Bemerkenswerte daran: Der härteste Kampf wird nicht etwa zwischen Regierung und Opposition ausgefochten, sondern zwischen den zwei großen Oppositionsparteien SPÖ und FPÖ. Die rechtsextreme FPÖ sei »eine Lobby-Partei für die Superreichen, Konzerne und Profitinteressen der Unternehmen« und alles andere als arbeitnehmer*innenfreundlich, so SPÖ-Bundesgeschäftsführer Klaus Seltenheim.

Für die SPÖ geht es in diesem Duell um viel: Die Partei hat etwa mit Andreas Babler eine neue, seit Langem wieder sich explizit links verortende Führung; sie ringt um Aufmerksamkeit abseits interner Streitigkeiten rund um den Prozess, wie es zu dieser neuen Parteiführung kam; nicht zuletzt ist die Schnittmenge in der Wählerschaft mit der FPÖ riesig, wie Wählerstromanalysen zeigen. Riesig ist allerdings auch die Schnittmenge beider Parteien im Meinungsbild ihrer Wählerschaft, wenn es um Themen wie Asyl, den Umgang mit Russland oder Nahost geht. Das Thema Tarife ist demnach ein willkommener Segen für die Partei: ein Thema ohne Fallstricke. Wahltermin ist spätestens im kommenden Herbst.

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