Als ich am Samstag friedlich in einer Weddinger Kneipe[1] saß und Bundesliga guckte, schoss plötzlich ein Mann auf mich zu. »Warum guckst du dir das an, die Fußballindustrie ist ein Haufen wilder Kerle, die schnelles Geld machen wollen und dafür alles opfern, was uns am Fußball wichtig ist!«
»Ist Wasser nass?«, ranzte ich zurück.
Mir war nicht nach Diskussion, ich wollte ein Bier trinken und in rauchgeschwängerter Luft erträglichen Fußball gucken. Es reichte mir bereits, dass die Kneipe voller Hipster*innen war, die stolz ihre knappen Röckchen schwenkten und die schimmligen Stammgäste ganz wuschig machten. Einige von den Schimmligen bewegten zum ersten Mal seit 1989 ihren Hintern. Damals waren sie letztmalig munter geworden, um den einfallenden Ostlerhorden die Kneipentür vor der Nase zuzuschlagen.
Damals war die Kneipenwelt für die ehrlichen Weddinger in Ordnung gewesen. Mittlerweile war die Stampe längst vom Ludentarzan an einen Araber vertickt, der mit kapitalistischen Crossover-Konzepten von sich reden machte. Quasi auf St. Pauli abgeguckt, wo Werbeindustrie und Kiezgötter dem legendären Assischuppen »Zum Goldenen Handschuh« die Flügel gestutzt hatten. Wo früher im »Handschuh« der Tourist ungefragt eine aufs Maul bekommen hatte und ausgeraubt worden war, konnte er heutzutage unter seinesgleichen und garniert von Kleindarstellern der Gauklerbranche den Larry machen.
»Es ist aber nicht alles H&M«, murmelte ich in meinen Fusselbart und betrachtete auf dem Wisch-Phone die neuesten Frisuren und Tattoos meiner fußballernden Lieblingshassobjekte. Was bleibt einem übrig, wenn statt Waldhof Mannheim gegen den BFC Dynamo Heidenheim gegen Hoffenheim im Bezahlfernsehen so tun, als würden sie Fußball spielen, während sämtliche Bauernvölker der Umgebung begeistert mit ihren Klatschpappen rödeln.
Oh Nacht, die Ballverteilung war im Gange
die Haare fliehn
wo befindet sich das Kokain?
Noch einmal blühn im Überschwange!
dichtete ich vor mich hin und brachte mein Verlangen zum Ausdruck, dem körperlichen und geistigen Verhängnis des modernen Fußballs zu entkommen.
Später verkündetete im werbefinanzierten Fernsehen ein Trupp bezahlter Uefa-Schmeichler, das Olympiastadion stehe in Ostdeutschland. Die Grinsebacken aller Geschlechter schlenkerten mit den Armen und pusteten den letzten aufrechten Weddingern die Europameisterschafts-Botschaft der Lüge ins Kleinhirn. Alle Menschen werden Brüder, wozu sind Kriege da, Westberlin liegt in Ostdeutschland! Ist die Blütezeit unseres Fußballs endgültig vorüber? Können Millionen Berliner Fußballfans und Milliarden Berlin-Besucherinnen irren?
Irgendwann war die Kneipe nur noch von Bierzombies und verzweifelten Seelen bevölkert, die nach 23 Uhr kein warmes Nest ihr Eigen nannten. Da betrat plötzlich eine lärmende Horde mittelalter Herthaner die Kaschemme und ließ in den nächsten Stunden die gute alte Zeit aufleben: als der Westberliner Fußball noch eckig war und die Mauer hoch und dazu da, hinter ihr den Westberliner Müll zu entsorgen! Frank Zander, Hannes Holst am Zoo, Pepe Mager[2] im Schaffickermantel. Alles gute Gründe zur Sorge, alldieweil ich mich zu allem Übel an eklige Momente erinnerte, die mich mit der Spezies der schrundigen Hertha-Fröschlein zusammenführten.
O, mein Fußballgott! Was habe ich im Leben falsch gemacht? Uefa-Schmeichler gegen Hertha-Frösche 1:1. Mediziner, Theologinnen und Philosophiestudent*innen – ist das der endgültige Untergang der Fußballwelt?
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1178264.hertha-fussball-ist-fuer-dich-mich-und-die-anderen.html