»La Cocina«: Das Fleisch des armen Mannes

Berlinale-Wettbewerb: Alonso Ruizpalacios erzählt in »La Cocina« von Liebe im kulturellen Schmelztiegel Manhattans – und verliert dabei oft den Fokus

  • Susanne Gietl
  • Lesedauer: 4 Min.
Eine skeptisch beäugte Liebe: Julia (Rooney Mara) und Pedro (Raúl Briones Carmona)
Eine skeptisch beäugte Liebe: Julia (Rooney Mara) und Pedro (Raúl Briones Carmona)

Entschleunigung, Einfachheit im Alltag und die Pflicht zum Ungehorsam sind wohl nicht gerade Begriffe, an die man bei der Arbeit in Großküchen denken mag. Doch der mexikanische Regisseur Alonso Ruizpalacios beginnt seinen Film »La Cocina« mit dem größtmöglichen Kontrast, einem Zitat des rebellischen Puritaners Henry David Thoreau. Erst dann arbeitet er sich in eine Großküche vor.

Ruizpalacios, der während der Studienzeit an der Royal Academy of Dramatic Art in London nebenbei als Tellerwäscher und Kellner schuftete, bezieht sich lose auf Arnold Weskers Stück »The Kitchen«. Der Regisseur erklärt gerne, dass er das Drama damals las, um die Tage im Londoner Touri-Café besser ertragen zu können. In »La Cocina« zeichnet er nun einen Mikrokosmos in Schwarz-Weiß, wobei ein streichender Rotstift dem Film nicht geschadet hätte.

In Manhattan befindet sich die Touristenfalle »The Grill«. Hinter den Schwingtüren des Restaurants arbeiten fast alle mit falscher US-Sozialversicherungsnummer für wenig Geld. Das Versprechen, eines Tages eine Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen, hält die Köche und Kellnerinnen im Diner. Auch der mexikanische Koch Pedro (Raúl Briones Carmona) träumt von seinem Dauervisum.

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Als 800 Dollar in der Kasse fehlen, ist Pedro, der durch sein aufbrausendes Temperament gerne als »tickende Zeitbombe« bezeichnet wird, der Hauptverdächtige. Der Stressfaktor in der Küche ist hoch. Täglich gehen tausende Essensbestellungen ein, unaufhörlich und unüberhörbar rattert die Maschine, um in der rush hour neue Speisewünsche in die Küche zu schicken. Nur dreckiger Humor und klare Arbeitstrennung halten die menschlichen Zahnrädchen am Laufen.

Pedros Ausweg aus der Endlosschleife scheint seine Liebe zu der amerikanischen Kellnerin Julia (Rooney Mara) zu sein. Viele sagten auch »Du bist die Liebe meines Visums«, warnt sie der Personaler Louis (Eduardo Olmos). Ein Mexikaner ohne Arbeitserlaubnis und eine Amerikanerin gehören einfach nicht zueinander. Pedro sieht das romantischer. Julia ist schwanger. Ihr gemeinsames Baby sei »das einzig Schöne, was aus dem Ort hervorkommt«, findet der Mexikaner.

Kameramann Juan Pablo Ramírez zelebriert die Auszeiten von Julia und Pedro regelrecht. Während Lee Hazlewood die Schnulze »Your Sweet Love« schmettert, lässt ein Koch in Zeitlupe Hummer in ein Aquarium gleiten. Pedro beginnt in gebrochenem Englisch zu erzählen, dass die Tiere früher »das Fleisch des armen Mannes« gewesen seien, quasi Meereshühnchen. Julia bewundert seine Cleverness und sie küssen sich leidenschaftlich. Ein anderes Mal entschwinden sie in die blau kolorierte Kühlkammer und Julia öffnet sich Pedro, indem sie ihre Panikattacken mit Ameisen vergleicht, die ihren Körper eroberten. Sie haben Sex.

Zwar zieht sich Julias und Pedros Liebe wie ein roter Faden durch »La Cocina«, doch wirkt der Film durch viele Einstreuungen trotzdem wenig fokussiert. Zum Beispiel wird zu Beginn die Mexikanerin Estela (Anna Díaz) als neue Küchenhilfe mit falschen Papieren eingeführt. Ihr Schicksal ist jedoch wenig von Belang. Sie wirkt eher wie ein Vehikel, das man brauchte, um Pedro jemanden in der Küche an die Seite zu stellen. Gleiches gilt, als ein Kollege von Pedro in einer relativ langen Szene beim Rauchen die Frauen von oben in der Umkleide, in der sich auch Julia befindet, beobachtet. Sie entdecken ihn, die Kamera wechselt zwischen der Frauenumkleide und der Raucherposition hin und her, dann befindet sich die Kamera direkt in der Umkleide und Julia wird zum ersten Mal vorgestellt. Auch hier der Kollege also nur ein Vehikel.

Das Bild von der gemeinsamen Mittagspause im kleinen Team hingegen überzeugt. Pedro zeigt erst seine prügelnde, harte, dann seine nachdenkliche Seite. Er fragt seine Mitrauchenden nach ihren Träumen. Sie wünschen sich ein Haus, Geld oder einfach, unsichtbar zu sein und im Stadtbild untertauchen zu können, ohne sich verstecken zu müssen. Auch wenn »La Cocina« durch viele Einschübe erzählerisch schwächelt und einige poetische Gedanken sich schnell wieder verlieren: Die Bilder sprechen Bände.

»La Cocina«: Mexiko/USA 2024. Regie und Buch: Alonso Ruizpalacios. Mit: Raúl Briones Carmona, Rooney Mara, Anna Diaz, Motell Foster, Oded Fehr. 139 Min. Sa. 17.2., 9 Uhr, Verti Music Hall, 15 Uhr, Haus der Berliner Festspiele, 21 Uhr, City-Kino Wedding und 21.45 Uhr, HKW; So. 25.2., 13 Uhr, Berlinale-Palast.

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