In ganz Leipzig macht die CDU im Kommunalwahlkampf die Zuwanderung zum Thema. Auf ihren Plakaten fordert sie eine »Kehrtwende in der Migrationspolitik«. In ganz Leipzig? Nein. In einem Viertel rund um die Eisenbahnstraße im Leipziger Osten, dessen Bewohner zu rund 40 Prozent einen Migrationshintergrund haben, hat sie Zuwanderer als potenzielle Wähler entdeckt und addressiert sie auf Plakaten mit Slogans in arabischer und türkischer Sprache. Diese allerdings wurden jetzt zur Zielscheibe von Attacken: Rund 400 Plakate seien zerstört oder gestohlen worden, teilt die Partei mit. Er betreibe seit 1990 Wahkampf, erklärte CDU-Stadtchef Andreas Nowak; so etwas habe er noch nicht erlebt.
Der Wahlkampf in Sachsen, wo am 9. Juni Kreistage sowie Stadt- und Gemeinderäte gewählt werden, hat auch andernorts noch aggressiver als gewöhnlich begonnen. Die Frist für das Aufhängen von Plakaten hatte am vorigen Wochenende kaum begonnen, da wurden bei Chemnitz, in Zwickau und in Mittelsachsen Wahlkampfhelfer der Grünen angegriffen; es gab einen Verletzten. Christin Furtenbacher, die Landeschefin der Partei, äußerte sich entsetzt, betonte aber, es werde »nicht gelingen, uns von der Straße zu drängen«. SPD-Landeschef Henning Homann fürchtet, man werde in den Kampagnen der kommenden Monate »einen neuen Höchststand an Zerstörungen und Bedrohungen erreichen«. Im Herbst wird auch der Landtag gewählt.
Auf den CDU-Plakaten, die in Leipzig zur Zielscheibe wurden, stand ein Slogan, der sinngemäß versprach, man werde »gemeinsam für Sicherheit und Ordnung im Viertel sorgen«. Die CDU betonte, man habe das Motiv zusammen mit migrantischen Händlern und Gewerbetreibenden entwickelt. Diese hätten sich an die Partei gewandt, weil sie »mit diversen Entwicklungen der grün-rot-roten Stadtpolitik nicht einverstanden« seien. Ein Streitpunkt ist die Verkehrsberuhigung in sogenannten Superblocks, denen die CDU ein Bekenntnis zum Autoverkehr entgegensetzt.
Die Plakate sind nur ein Indiz dafür, dass es auch in der Leipziger CDU durchaus widerstreitende Positionen zum Thema Migration und zum Umgang mit Zugewanderten und deren Kulturen gibt. Als Bundeskanzler Olaf Scholz kürzlich eine Grußbotschaft zum Ramadan sandte und diese auch in Arabisch verbreitet wurde, sprach der junge Leipziger CDU-Politiker Lucas Schopphoven, Spitzenkandidat im Südosten der Stadt, von einer »Unterwerfungsgeste hinsichtlich einer bestimmten Religion«. Die Eisenbahnstraße, laut Presseerklärung der Stadt-CDU ein »deutschlandweit bekannter Hotspot für Migration«, wird gerade von CDU-Politikern immer wieder zum Problemfall hochstilisiert. Es war mit Roland Wöller ein Innenminister dieser Partei, der dort wenige Monate vor der Landtagswahl 2019 eine Waffenverbotszone einrichten ließ und damit das Viertel als Kriminalitätshochburg brandmarkte.
Andere Teile der Partei haben sich mit den örtlichen Gegebenheiten arrangiert und umwerben die Bewohner. Im Leipziger Osten, wo die dreisprachigen Plakate gehängt wurden, steht auch ein Gewerbetreibender mit türkischen Wurzeln auf Platz 9 der CDU-Kandidatenliste. Landeschef und Ministerpräsident Michael Kretschmer betonte in einer Videobotschaft, man arbeite zusammen mit »denjenigen, die sich wirtschaftlichen engagieren wollen und die anständig sind aus dieser arabischen und türkischen Community«. Mit den Plakaten habe die örtliche Partei »alles richtig gemacht«.
Kretschmer fühlte sich zu der Äußerung bemüßigt, weil die Plakatmotive bundesweit für Wirbel vor allem in rechten und rechtsextremen Kreisen sorgten. Die Rechtspostille »Junge Freiheit« sprach von »Anbiederung an Migranten, die kein Deutsch verstehen«. Maximilian Krah, der Europa-Spitzenkandidat der AfD[1], erklärte, die CDU sei »nicht das kleinere Übel, sie ist das Übel«. Die CDU allerdings vermutet hinter den Angriffen nicht Rechtsextreme. Vielmehr gehe man davon aus, dass sie »offenbar von linken Extremisten zerstört« wurden, erklärte Nowak, nicht zuletzt, weil Plakate linker Parteien unbeschädigt blieben. Er fügte an, man werde »mit den migrantischen Händler und Gewerbetreibenden gemeinsam« die Plakate ersetzen.