Wie geht es weiter in der Berliner Bildungspolitik? Lange Zeit machten die Berliner Schulen vor allem Negativschlagzeilen: dramatischer Lehrkräftemangel, marode Schulgebäude, sinkende Leistungen in Vergleichstests[1]. Die Linksfraktion im Abgeordnetenhaus will bei einem Zukunftskongress am Samstag über Perspektiven für eine gerechtere Bildungspolitik sprechen.
»Wir wollen über die laufende Legislatur hinausdenken«, sagt Franziska Brychcy, bildungspolitische Sprecherin der Linken im Abgeordnetenhaus zu »nd«. Im Fokus des Kongresses sollen nicht nur Schulen stehen, sondern auch frühkindliche Erziehung sowie kulturelle und politische Bildung für Jugendliche. »Wir wollen zeigen, dass bessere Chancen für sozial Benachteiligte im Bildungssystem möglich sind«, sagt Brychcy.
Bereits am Freitagabend soll der Kongress mit einer Auftaktveranstaltung starten. Dort wird Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung, Leitlinien eines neuen Bildungssystems vorstellen. Am Samstag soll dann in Workshops und Podiumsdiskussionen über einzelne Bereiche diskutiert werden. Erwartet werden neben Vertretern von Lehrkräften, Erziehern und Schülern unter anderem Sarah Nagel (Linke), Jugendstadträtin in Neukölln, die stellvertretende Lichtenberger Bezirksbürgermeisterin Camilla Schuler (Linke) sowie Thomas Sutter, der Intendant des Musiktheaters Atze in Wedding. Alle Veranstaltungen werden im Albert-Schweitzer-Gymnasium in Neukölln stattfinden.
Für Linke-Bildungsexpertin Brychcy geht es vor allem um soziale Gerechtigkeit. »Ein Viertel der Berliner Schüler ist arm«, sagt sie. Für diese Kinder müssten bessere Rahmenbedigungen geschaffen werden, damit sie ihre Fähigkeiten besser einbringen und höhere Bildungsabschlüsse erzielen könnten. Das Ziel müsse sein, dass Bildung einkommensunabhängig allen Menschen zugänglich sei.
Seit dem Regierungswechsel zu Schwarz-Rot stünden aber singulär die Interessen einer »Elite« im Vordergrund. Das sehe man daran, dass mit dem neuen Schulgesetz der Zugang zum Gymnasium erschwert werden soll. Dort sollen künftig nur noch die Leistungen in den Fächern Deutsch, Mathematik und Englisch über die Aufnahme entscheiden[2]. »Den Schwerpunkt auf Sprachen zu setzen, benachteiligt Schüler mit nicht-deutscher Herkunftssprache«, sagt Brychcy. Das bisherige Modell, nach dem alle Fächer berücksichtigt werden, Hauptfächer aber doppelt zählen, sei »inklusiver«, so Brychcy.
In den kommenden Monaten und Jahren werde es darum gehen, das Prinzip der Kostenfreiheit zu verteidigen, sagt Brychcy. Unter Rot-Grün-Rot waren neben Kitas auch Horte sowie das Schulessen kostenfrei gemacht worden. Angesichts der schwierigen Haushaltslage geriet diese Entscheidung zuletzt in die Diskussion. Bereits im Frühjahr hatte die neue SPD-Landesvorsitzende Nicola Böcker-Giannini die Kostenfreiheit der Kitas als »Gießkannenpolitik« kritisiert. In der vergangenen Woche geriet auch das kostenlose Mittagessen an Schulen unter Feuer. »Ich frage mich: Ist nicht der Sozialarbeiter in einer Klasse mit hohem Migrationsanteil wichtiger als das kostenlose Mittagessen?«, sagte der CDU-Parlamentarier Christian Gräff dem »Tagesspiegel«.
»Natürlich kann man gute Bildung nicht zum Nulltarif haben«, sagt Brychcy. Die Kostenfreiheit sei eine große Errungenschaft, von der vor allem sozial benachteiligte Kinder profitieren. Sie dürfe auf keinen Fall von der Haushaltslage abhängig gemacht werden. Auch für kulturelle Bildung und Jugendförderung wünscht sich Brychcy Finanzierungsgarantien. »Wenn man bei Bildung nicht investiert, dann macht man Schulden für die Zukunft«, sagt sie.
Bei einem der Workshops soll über Lehrkräftebildung diskutiert werden. »Wir wollen den Spalt zwischen Lehrinhalten und Praxis überwinden«, sagt Philipp Dehne. Er arbeitete lange als Lehrer für Politik und Ethik. Neben der Frage, wie mehr Lehrkräfte ausgebildet werden können[3], solle es bei dem Workshop auch darum gehen, die Lehrkräftebildung inhaltlich neu aufzustellen. »Insgesamt müssen pädagogische Fähigkeiten gegenüber Faktenwissen stärker betont werden«, sagt Dehne. Lehrkräfte müssten besser auf die Realität in den Schulklassen vorbereitet werden, damit ein »Praxisschock« ausbleibe. »Die Klassen werden immer diverser, aber in der Ausbildung wird das kaum berücksichtigt«, sagt Dehne.
»Es braucht eine bessere Verzahnung von Theorie und Praxis in der Ausbildung«, sagt Dehne. Studierende müssten früher begleitet an die Schulen. Bislang ist ein Praxissemester zum Ende des Studiums vorgesehen. »Das kommt zu spät«, sagt Dehne. Die Studierenden müssten schon früh im Studium Schulpraktika absolvieren. Dass viele zurzeit bereits nebenbei an Schulen jobben, reiche nicht. »Das findet im luftleeren Raum statt«, sagt Dehne. »Besser wäre es, wenn die Universität Räume bieten würde, die in der Schule gemachten Erfahrungen zu reflektieren.«
Zukunftskongress Bildung, Jugend und Familie: 22. Juni 10-18 Uhr, Albert-Schweitzer-Gymnasium, Karl-Marx-Straße 14. Bereits am Vorabend findet ab 18 Uhr eine Podiumsdiskussion am gleichen Ort statt. Anmeldung unter
www.linksfraktion.berlin[4]
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1183131.bildung-schulen-in-berlin-zurueck-in-die-zukunft.html