Hinschauen statt mit der Kamera draufhauen: Volker Koepp ist der letzte große Dokumentarfilmer der Defa, der nach 1989 weitergemacht hat. »Durch die stille Poesie seiner ruhigen Bildsprache und den gemächlichen Erzählrhythmus lässt er den durch sein Leben hetzenden Betrachter innehalten«, schrieb Frank Schirrmeister[1] in dieser Zeitung. »Wann hat man sich zuletzt die Zeit genommen, den großen weiten Himmel über der Ostsee auf sich wirken zu lassen, wenn doch Einkaufen, Parkplatzsuche und Kinderbespaßung im überfüllten Urlaubsquartier alle Aufmerksamkeit erfordern?«
Die Landschaften der Ostsee hat Koepp mit seinem Kameramann Thomas Plenert[2] – der 2023 verstarb – oft gefilmt, ist nach Sarmatien, Ostpreußen oder Memelland gereist – alte Namen für Gebiete, die es so nicht mehr gibt. Ebenso wenig wie die LPG, die Textilfabrik und die Schnapsbrennerei in der Uckermark, der Prignitz oder der Märkischen Heide, deren Arbeiter*innen Koepp bei der Auflösung ihrer Arbeitsplätze begleitet hat.
In »Herr Zwilling und Frau Zuckermann«[3] porträtierte er 1999 zwei Holocaust-Überlebende in Czernowitz in der Bukowina, in die 1941 die Deutschen mit den rumänischen Verbündeten einmarschiert waren und wo diese fast alle jüdischen Bewohner, die Hälfte der Stadtbevölkerung, umgebracht hatten. In »Holunderblüte« (Foto) filmte er 2007 Kinder in der Region Kaliningrad, die praktisch ohne Eltern aufwachsen, denn die müssen im Ausland arbeiten oder trinken sich im Inland zugrunde. Die Kinder wirken sehr frei.
Koepp taucht in seinen über 60 Filmen selten auf – und wenn, dann nuschelt er irgendetwas im Hintergrund. Das ist seine filmisch-rhetorische Hebammentechnik, die aus dem Kleinen große Bilder schafft, geprägt von einem »Verlangen nach Freundlichkeit zwischen den Menschen und den Verhältnissen«, wie Anke Westphal einmal geschrieben hat. Diesen Samstag wird er 80 Jahre alt.
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Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1183159.dokumentarfilm-lass-es-wirken-sagt-volker-koepp.html