Bei jedem Aufmucken der Beschäftigten, um für Entlastung zu sorgen und etwas mehr Geld im Portemonnaie zu haben, schallt es sofort aus den Chefetagen: »Jetzt reicht es.« Die Institute der Unternehmerverbände warnen vor einer Lohn-Preis-Spirale, und neoliberale Resonanzverstärker malen ein Streik-Horror-Szenario[1] an die Wand. Grotesker Unfug, von dem man sich nicht beirren lassen sollte.
Denn der europäische Tarifbericht zeigt: Auch wenn im vergangenen Jahr eine Rekordzahl an Arbeitskämpfen[2] geführt wurde, sie konnten doch die herben Reallohnverluste der Krisenjahre[3] nicht ausgleichen. Neben Corona-Pandemie und Energiepreisschock infolge des russischen Angriffskrieges hat dazu auch ein Anstieg der Profitmargen von Unternehmen beigetragen. Die Folgen: enorme Preissteigerungen sowie eine erhebliche Umverteilung zulasten der Lohnabhängigen und zugunsten von Kapitaleinkünften.
Nicht nur, dass diese Ungerechtigkeit im Kapitalismus strukturell angelegt ist. Die Zahlen zeigen auch, dass Linke und Gewerkschaften es in den vergangenen Jahren nicht geschafft haben, die nötigen Verteilungskämpfe zu führen, und vor allem auch, sie zu gewinnen. Mut macht zwar der zuletzt eingeschlagene konfliktorientierte Kurs der Gewerkschaften in Europa. Doch da ist noch Luft nach oben, und dazu müssten politische und tarifliche Kämpfe stärker verzahnt werden – auch über Partei- und Ländergrenzen hinweg. Denn die Reallohnverluste für Beschäftigte in Europa zeigen es deutlich: Es reicht lange nicht.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1183380.reallohnverluste-in-europa-es-reicht-lange-nicht.html