nd-aktuell.de / 05.07.2024 / Kommentare / Seite 1

Sonne, Mond und deutscher Geist

Leo Fischer über die Abschweifungen eines konservativen Literaten

Leo Fischer
Mehrfach dekoriert, unter anderem mit dem Literaturpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung: Schriftsteller Martin Mosebach
Mehrfach dekoriert, unter anderem mit dem Literaturpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung: Schriftsteller Martin Mosebach

Wenn später einmal Historiker*innen fragen, wie es nach nicht mal 100 Jahren wieder zum weltweiten Aufschwung mehr oder minder offen rechtsradikaler Parteien kommen konnte, dann sollten sie auch nach der Rolle öffentlicher Intellektueller forschen – die, statt Bollwerk der Aufklärung zu sein, oft aus bloßer Eitelkeit und Distinktionsgier an den wenigen Brandmauern zündelten. Wer erinnert sich zum Beispiel noch an Martin Mosebach? Als gefeierter Autor intelligenter Unterhaltungsromane fing er an, bevor er einen kurzlebigen Renoveau catholique anführte – der 2012 in der Forderung nach einem verschärften Blasphemie-Paragrafen gegen Satiriker gipfelte: Er wolle »nicht verhehlen, dass ich unfähig bin, mich zu empören, wenn in ihrem Glauben beleidigte Muslime blasphemischen Künstlern (...) einen gewaltigen Schrecken einjagen«. Drei Jahre später starben beim Anschlag auf das Pariser Satireblatt »Charlie Hebdo« zwölf Menschen.

Am Dienstag war der Rechtskatholik an der Uni Würzburg zu einem Gastvortrag eingeladen, Thema: »Was bedeutet es, ein Deutscher zu sein?« Der Titel, der so auch im Programm des rechtsnationalen Instituts von Schnellroda stehen könnte, lockte ein entsprechendes Publikum, bis hin zu streng gescheitelten Burschenschaftlern. Mosebach konstruiert die Geschichte des »deutschen Volkes« in bruchloser Kontinuität bis zu den Germanen zurück, wie man seit den 50ern nicht mehr an deutschen Unis gehört hat. Stichwort: »deutscher Geist«, »deutsche Seele«.

So sieht im Frankenreich unter Karl dem Großen das erste »deutsche« Kaiserreich, verbreitet Krudes über vermeintliche Volkscharaktere und »konturarme Landmassen«. Ausführlich geht es um die angebliche Einzigartigkeit der deutschen Sprache, als sei sie eine singuläre, sogar »die am weitesten entwickelte Sprache«. Neben Ausführungen über die »Ursünde« der Rechtschreibreform produziert er Plattitüden zum grammatischen Geschlecht von Sonne und Mond: Ausgiebig reitet er auf dem Unterschied zwischen die Sonne/der Mond und il sole/la luna herum, liest die grammatischen Genera sturheil im Sinne des Sexus und unterstellt ihnen einen einzigartigen »deutschen Geist«, den andere Sprachen nicht teilten.

Eine Person fragt, ob denn Migrant*innen nicht auch als Teil eines deutschen Geistes, einer deutschen Identität anzuerkennen sind. Worauf Mosebach – auf die Zuwanderung seit 2015 anspielend – entgegnet, die seien alle noch zu kurz hier, um so was sagen zu können. An die Einwander*innen der 50/60er erinnert, behauptet er: Entweder hätten die sich assimiliert oder Parallelgesellschaften gebildet, aber nicht den deutschen Volkscharakter verändert.

Schon gruselig, dass man mit einer derart nebulösen Mischung aus Halbwissen und Ressentiment an einer deutschen Universität herumkaspern kann. Doch als Revival eines 50er-Jahre-Tweed-Schwurblers mit kaum verhohlenem Kulturchauvinismus liegt der sich als konservativer Störenfried dünkende Autor bizarrerweise – komplett im Zeitgeist.