Steuern »sparen« gehört zum Alltag jeder Firma. Soweit dies mit korrekten Angaben und im Rahmen des gesetzlichen Regelwerks passiert, scheint dies nicht verwerflich zu sein. Doch es gibt einen Graubereich. Juristen sprechen wie bei den berüchtigten Cum-Ex-Geschäften[1] von »aggressiver Steuerplanung«: Steuerpflichtige suchen ihre Steuerschuld durch Regelungen zu verringern, die zwar legal sein mögen, aber im Widerspruch zur Absicht des Gesetzes stehen. Aggressive Planung schließt die Nutzung von Schlupflöchern in einem Steuersystem und von Diskrepanzen zwischen Steuersystemen verschiedener Länder ein. Sie kann auch zu doppelter Nichtbesteuerung oder Doppelabzügen führen.
Die Bekämpfung der aggressiven Steuerplanung ist von »entscheidender Bedeutung«, heißt es in einem Hintergrundpapier der Europäischen Kommission. Schließlich gehe es um Einnahmen für öffentliche Investitionen, Bildung, Gesundheit und Sozialfürsorge und die Steuermoral der Bürger. Die EU hat daher mehrere Gegenmaßnahmen ergriffen. Dazu zählt eine Richtlinie aus dem Jahr 2011, laut der Steuerpflichtige oder ihre »Intermediäre« – gemeint sind Steuerberater, Anwälte und Notare – grenzüberschreitende Steuergestaltungen den zuständigen Finanzbehörden melden müssen, wenn dadurch Steuern gespart werden sollen.
Das kann diesen Berufsgruppen nicht gefallen, denn sie locken Mandanten ja mit dem Versprechen der Vertraulichkeit. Im Jahr 2020 riefen Vereinigungen von Steueranwälten und Steuerberatern sowie Rechtsanwaltskammern den belgischen Verfassungsgerichtshof an. Sie sind der Ansicht, dass die Umsetzung für nichtig erklärt werden müsse, da die Richtlinie gegen eine Reihe von Bestimmungen der EU-Charta der Grundrechte und gegen allgemeine Grundsätze des Unionsrechts verstoße. Daraufhin wandte sich der belgische Verfassungsgerichtshof an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg. Dieser entschied in seinem Urteil vom Montag, dass »die Meldepflicht der Intermediäre einen verhältnismäßigen und gerechtfertigten Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens darstellen«. Außerdem stelle sie nicht die Grundsätze der Rechtssicherheit und der Gesetzmäßigkeit in Strafsachen infrage, und es gebe keine Diskriminierung von Unternehmen, denn die Meldepflicht gelte auch für Privatpersonen.
Auch wenn nun Rechtssicherheit besteht, der praktische Nutzen der Richtlinie ist umstritten. Der Idee nach sollen die Meldungen die Finanzbehörden auf neue Steuertricks stoßen. Allerdings sind die zuständigen Verwaltungen – in Deutschland die Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen, die Informationen von Banken erhalten – mit der Datenflut teils überlastet. O[2]bendrein will die Bundesregierung zudem eine Mitteilungspflicht für innerstaatliche Steuergestaltungen neu einführen.
Immer neue Regeln und Gesetze bleiben indes letztlich folgenlos, wenn der Kontroll- und Fahndungsdruck durch Behörden fehlt. Seit Langem fordern insbesondere linke Steuerexperten und Organisationen, den Fiskus personell aufzurüsten und mehr Steuerfahnder auszubilden.
Im Übrigen erwarten Fachleute keine ganz neuen Erkenntnisse aus der Meldepflicht. So zeigt die Geschichte der Cum-Ex-Deals, dass der Fiskus durchaus auf dem neuesten Stand war, aber rechtlich und personell nicht in der Lage, entsprechend einzugreifen.