Der Bundeskanzler hat angekündigt, dass nach einer Vereinbarung mit den USA ab 2026 US-Marschflugkörper, Hyperschallwaffen und Raketen in Deutschland stationiert werden sollen. Diese Waffen können auch mit nicht atomaren Sprengköpfen aufgrund modernster Technik präzise und mit hoher Sprengkraft ihre Ziele weit in Russland treffen. Raketen sind Magneten – sie machen Deutschland zu einem strategischen Angriffsziel.
Die Bundesregierung spricht von einer »Fähigkeitslücke«, die zu schließen sei. Russland besitzt zwar ein breites Spektrum von Kurz- und Mittelstreckenraketen, Hyperschallwaffen und Marschflugkörpern. Allerdings sind nach Expertenmeinung die Luft- und Seestreitkräfte der Nato denen Russlands überlegen, und die Behauptung einer »Fähigkeitslücke« überzeugt nicht. Die USA werden die neuen Waffensysteme im Rahmen ihrer »Multi-Domain Task Force« (MDTF) in Deutschland stationieren. US-Mitteltreckenraketen in Westeuropa zielen auf Moskau, russische zielen auf Westeuropa, nicht auf Washington. Die USA haben 2017 mit der Aufstellung der MDTF begonnen, Stationierungspläne für Deutschland sind bereits seit 2021 bekannt und keine Reaktion auf den Ukrainekrieg.
Die Regierungsvereinbarung bringt uns zurück in die brandgefährliche Situation von 1983, als schon einmal zielgenaue Marschflugkörper in Deutschland stationiert wurden und Raketen, die innerhalb von kurzer Zeit Moskau erreichen konnten. Bei solch kurzer Vorwarnzeit wäre es Russland kaum möglich, einen Angriff abzuwehren. Aus russischer Sicht geht es um die Gefahr eines Überraschungsangriffs und eines sogenannten Enthauptungsschlags, mit dem die Führungsspitzen einer Regierung ausgeschaltet werden können. Je kürzer die Vorwarnzeit, desto stärker wird der Anreiz für den potenziellen Gegner, die Waffen »präemptiv«, also vorbeugend, anzugreifen.
»Ein Atomkrieg kann nicht gewonnen werden und darf nie geführt werden.« Dieser Satz stammt von Michail Gorbatschow und Ronald Reagan, den damaligen Präsidenten der UdSSR und der USA beim Abschluss des INF-Vertrags 1987, der alle nuklear bestückbaren Mittelstreckenwaffen in Europa abschaffte.
2019 haben die USA den Ausstieg aus dem Vertrag erklärt. Die USA und Russland beschuldigten sich gegenseitig, gegen das Abkommen verstoßen zu haben. Allerdings haben die USA schon 16 Tage nach Vertragsablauf einen ersten Test mit der landgestützten Version eines Tomahawk Marschflugkörpers durchgeführt.
Nur 5 Jahre nach der Kündigung wird jetzt bilateral von Deutschland und den USA bekannt gegeben, dass ab 2026 wieder US-Mittelstreckenraketen bei uns stationiert werden, die Ziele weit in Russland treffen können. Weil die USA diese Raketen nur in Deutschland stationieren, wird das Risiko – anders als im Nato-Doppelbeschluss von 1979 – nicht von europäischen Partnern geteilt. So machen die Raketen Deutschland im Spannungsfall zu einem bevorzugten Angriffsziel. All dies geschieht vor dem Hintergrund des Ukrainekriegs, der bereits für sich die Gefahr eines Atomkriegs in Europa aktualisiert hat.
Die IPPNW stellt sich deshalb entschieden gegen die Stationierung neuer Mittelstreckensysteme in Deutschland. Von der Bundesregierung fordern wir, sich für die Wiederaufnahme von Abrüstungs-verhandlungen einzusetzen, insbesondere für ein Nachfolgeabkommen für den INF-Vertrag.