An einem gewöhnlichen Dienstag empfängt die Markthalle im Arbeiterviertel Trinidad Galán ihre Besucher*innen mit einer bedrückenden Stille. Statt geschäftigen Treibens sieht man leere Stände und »Zu vermieten«-Schilder, die den Verfall des einst lebendigen Marktes einläuten. Die Verkäufer*innen starren in ihre Smartphones, vereinzelt finden Unterhaltungen zwischen den Händler*innen statt, eine alte Dame räumt Mangos von einem Korb in einen anderen. Zwei Jungen spielen in einem Wassereimer vor dem Eingangstor, während zwei Kundinnen Preise für Pfeffer und Koriander anfragen – die einzige Kundschaft, die sich an diesem Dienstagmittag in der Markthalle befindet.
»Der Staat will uns hier raushaben, um das Grundstück an Großinvestoren zu verkaufen«, klagen die verbliebenen Händler*innen, so auch die 32-jährige Restaurantbesitzerin Jessica Giraldo, die das Familiengeschäft in vierter Generation übernommen hat und laut eigenen Angaben in den Reihen des Marktplatzes groß geworden ist. Täglich höre sie von ihren Kolleg*innen, dass der Markt bald »zugrunde gehen« werde.
Die Markthalle wurde im Jahr 1973 gegründet. Außerhalb des Arbeiterviertels Trinidad Galan, das im Süden der Staat liegt, ist die Markthalle im Gegensatz zu anderen Bauernmärkten der Stadt kaum bekannt. Ein Großteil der heutigen Standbesitzer*innen führt das Geschäft ihrer Vorfahren fort, die ursprünglich aus ländlichen Regionen in die Hauptstadt gezogen waren, manche verkaufen hier schon seit dem Gründungsjahr und sind damals vom Lande gekommen, um ihre Produkte anzubieten.
Giraldos Restaurant hat eine andere Geschichte: Die junge Bogotanerin hat vor drei Jahren ihren Job als Anwältin aufgegeben, um die Tradition ihrer Großmutter weiterzuführen und kolumbianische Hausmannsgerichte in der Markthalle anzubieten. Sie ist die jüngste Standbesitzerin auf dem Trinidad-Galan-Markt. Es tue ihr im Herzen weh, dass die Marktkultur aussterbe. Der Markt sei einst voll mit Menschen gewesen und die Pächter*innen hätten gut von ihrer Arbeit leben können. Mittlerweile kommen werktags kaum noch Menschen in die Halle, die Wochenenden seien geschäftiger. Gäbe es die Stammkunden gehobenen Alters und die Wochenendbesucher*innen nicht, hätten sie den Markt längst dichtmachen können, bedauert Giraldo.
Der Markt Trinidad Galan sei ein Ort, an dem alle Familienmitglieder zusammenarbeiten, die Großeltern mit ihren Kindern und Enkeln, »jeder kennt sich, wir sind wie eine große Familie«, betont Giraldo. Ein Pächter, der das Gespräch mithört, wirft ein, dass er »die Jessica schon kenne, seit sie im Bauch ihrer Mutter war«.
Sozialer Zusammenhalt zwischen den Standbesitzer*innen ist üblich auf den Märkten der Stadt. Alle helfen sich gegenseitig. Ist keine Kundschaft vor Ort, trinkt man zusammen einen Kaffee und tauscht sich aus, macht einer der Pächter*innen eine kurze Pause, passen die anderen auf den jeweiligen Stand auf – Privates und Geschäft sind hier eins. In der Weihnachtszeit organisieren einige der Märkte gemeinsam eine Tombola.
Dieses soziale Geflecht ist in Gefahr. Giraldo schreibt den Supermarktketten, die Obst, Fleisch und Gemüse zu billigen Preisen anbieten die Schuld zu. Heutzutage kaufen die Pächter*innen nicht mehr direkt bei den bäuerlichen Produzenten ein, die private Markthalle Corabastos hat das Geschäft mit frischen Lebensmitteln weitestgehend übernommen.
Nicht nur die Verdrängung durch das preiswerte Angebot großer Supermarktketten sei schuld am Verfall des kulturellen Erbes der Markthallen, »die Familien heutzutage haben unsere Tischkultur vergessen. Die Kinder essen lieber Cornflakes mit Zucker als Suppen aus Innereien und Kuhknochen, weil die Eltern es ihnen nicht mehr beibringen«, findet Giraldo. Sie könne nicht verstehen, warum die Kolumbianer vergessen haben, wie vielfältig und gut ihre heimische Gastronomie sei. Diesen kulturellen Wandel sieht auch ein 39-jähriger Bürger, der sich an seine Kindheit erinnert und von den Familienausflügen auf den Marktplatz erzählt. Restaurants mit Stühlen habe es zu jener Zeit nicht geben, »nur kleine Stände, an denen man Haferflockenmilch, Buñoelos (frittiertes Gebäck) oder Spanferkelstückchen gegessen hat«, schwelgt er in Erinnerungen.
Junge Kundschaft, die ihren Wocheneinkauf auf den Marktplätzen der Stadt machen, sieht man eher selten. Die Mehrheit der jüngeren Kolumbianer*innen zieht es, wenn dann an die Essensstände, die in den sozialen Medien von Influencer*innen und Food-Blogger*innen angepriesen werden. Auf diese Weise haben beispielsweise der Taco-Stand am privaten Paloquemao-Markt und ein Schaschlikspieß-Verkäufer vor der Markthalle 7 de Agosto Berühmtheit erlangt.
Dennoch versuchen die Betreiber*innen auf verschiedene Weise sich der modernen Kundschaft anzupassen. Sie bieten seit Pandemiezeiten sogar Zahlung per elektrischem Geldbeutel und Sofortüberweisungen per QR-Code an. Einige der Standbesitzer*innen, so auch Jessica, verfügen über einen Instagram-Account oder Whatsapp-Kanal, auf denen sie ihr Tagesmenü anpreisen und auf Kundenwünsche reagieren.
Ursprünglich war der Markt ein Ort für günstiges und gutes Essen für die Arbeiterklasse, inzwischen ist er ein Touristenmagnet.
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Mehrmals jährlich gibt es ein »Tamal-Fest«. Dort werden während eines Wochenendes in diversen Restaurants verschiedene Tamales – ein in Bananenblätter servierter gekochter Maisbrei, der mit Rinder- und Hühnerfleisch und geschnittenem Gemüse angereicht wird und eines der beliebtesten Frühstücksgerichte in Kolumbien darstellt – angeboten.
Diese Initiativen scheinen nichts zu nützen. Die Kundschaft beschwere sich, dass der Markt zu teuer wäre. »Es ist nicht teuer, aber die Käufer verstehen nicht, dass hier jede Familie das bisschen zu verkaufen versucht, was sie auf dem privaten Marktplatz Corabastos bekommen kann, und mit dem Transport und dem Weiterverkauf müssen sie die Preise etwas erhöhen«, sagt Giraldo. Deshalb kaufen selbst die Leute aus dem Viertel nicht mehr auf dem Markt ein, da es inzwischen an vielen Ecken preiswerte Einkaufmöglichkeiten gebe. Hier spielen die Bequemlichkeit und die Kosten für den Transport zum nächstgelegenen Marktplatz eine ausschlaggebende Rolle, meint Giraldo.
Auf der Website der Institution spricht das IPES von einer »hervorragenden Produktauswahl an 145 Ständen. Von diesen seien aber nicht einmal die Hälfte besetzt, sagt Giraldo. Ein Heilpflanzenverkäufer, der seit über 34 Jahren an den Marktplätzen der Stadt verkauft, stimmt zu und beschreibt das wiederkehrende Problem: «Interessenten für die Stände gibt es genug, aber die Verwaltung vermietet nicht. Mögliche Pächter reichen die Papiere ein, aber es passiert einfach nichts.» Giraldo und der Verkäufer können der Untätigkeit der Verwaltung nur ratlos zuschauen und den «schleichenden Rausschmiss abwarten», wie eine der Köchinnen des Marktes das Vorgehen flüsternd bezeichnet. Die Köchin merkt aber auch an, dass einige der Verkäufer selbst die Schuld am Verfall des Marktes tragen würden. Es gäbe nur einen Fleischverkäufer und dieser biete schlechte Qualität zu hohem Preis an.
Bei Problemen wie Diebstahl oder der Instandhaltung der Halle würden sie weitestgehend alleingelassen, nie hätten sie einen Ansprechpartner bei der Verwaltung gehabt, erklärt Giraldo. Eigentlich habe das IPES keinerlei Vorstellung, wie es auf den Märkten dieser Stadt zugehe und sie verstünden das Alltagsgeschäft der Arbeiterklasse nicht. Es sei ein Wunder, dass endlich das marode Dach repariert würde. Der Staat sei sogar zu bequem, um von den Standbesitzern die Mieten einzukassieren, sollten diese nicht von selbst bezahlen, «viele hier zahlen weder Standgebühren noch Strom oder Wasser, weil sie wissen, dass es niemand von ihnen einfordern wird», meint Restaurantleiterin Giraldo.
Der Marktplatz des ersten Arbeiterviertels der Stadt, La Perseverancia, hat keine Probleme mit schwindender Kundschaft oder Ausfälle von Einnahmen. Im Gegenteil, der zentrumsnahe Markt ist zu jeder Uhrzeit gut besucht. Hier herrscht ein anderes Problem: Ursprünglich war dieser Markt ein Ort des Austausches und für günstiges und gutes Essen für die Arbeiterklasse, inzwischen ist er ein Touristenmagnet und Opfer der Gentrifizierung.
Die Fassade der Markthalle Perseverancia lässt noch auf ihre bäuerlichen Wurzeln schließen. Sie zeigt ein Mosaik-Gemälde, auf dem die Frauen des zentralen Platzes des Viertels zu sehen sind und ein Gesicht einer jungen Bäuerin und dem Feuer, auf dem das Essen mit einem bunten Maiskolben gekocht wird.
Diese Zeiten liegen weit zurück. Die Bewohner*innen des Viertels waren es gewohnt, für ein Mittagessen mit Getränk zwischen 12 000 und 15 000 kolumbianische Pesos (ca. 2,60 Euro) zu zahlen. Doch mit der steigenden Anzahl ausländischer Touristen sind die Preise in die Höhe geschossen – bis zu 50 000 Pesos (etwa 10 Euro). Auf dem Marktplatz hört man nun Sprachen wie Deutsch, Französisch und Hindi, was früher selten war. Die Marktstände fahren zwar mehr Gewinne ein, die hiesige Kundschaft leidet jedoch unter dem Erfolg, da diese Preise für die Arbeiterklasse in einem Land, in dem der Durchschnittslohn laut OECD etwa 295 Euro beträgt, kaum noch bezahlbar sind. Die Restaurants bieten indes sogar – für Kolumbien unüblich – Tischreservierungen in der Markthalle an.
Ein Standbetreiber berichtet, dass schon immer einige ausländische Tourist*innen den zentral gelegenen Markt besucht haben, doch nach der Pandemie sei ein deutlicher Anstieg zu spüren gewesen. Der Händler vermutet, dass dieser Boom mit der Netflix-Serie «Streetfood – Lateinamerika» zusammenhängen könnte. In der 2020 veröffentlichten Serie wurden einige der Köchinnen des Marktes Plaza Perseverancia und ihre traditionellen Gerichte vorgestellt, was international für Aufmerksamkeit gesorgt haben könnte.
Mit den erhöhten Einnahmen der Restaurants kamen Investoren auf die Idee, etwas aus dem Erfolg zu machen. Der Platz wurde inzwischen modernisiert, optisch stark verschönert und die Stände weisen zum Teil ein einheitliches Design auf. Man findet supermarktähnliche Stände mit Importprodukten und in Plastik verpacktes, perfekt aussehendes Obst und Gemüse.
Rezepte seien auf hinterlistige Weise von den Köchinnen erschlichen worden und Franchise-Unternehmen mit diesem Wissen gegründet worden, sagt der politische Sprecher des Marktes. «Sie kamen und nutzten die Naivität der Köchinnen aus, gaben ihnen ein bisschen Geld und hoben ihnen einen Vertrag unter die Nase, den sie unterschreiben sollten, ohne genau zu wissen, dass sie damit die Rechte ihrer eigenen Gerichte verkauften», erklärt der Marktsprecher von Perseverancia.
Aus Angst vor einer allmählichen Privatisierung ihrer Markthalle sind die Pächter*innen seit über einem Jahr im Streikmodus. Alle öffentlichen Märkte haben sich zusammengetan und verlangen von der Verwaltung, die Märkte der Stadt als immaterielles Erbe zu schützen und rechtliche Sicherheit, sodass sie morgen nicht auf der Straße sitzen, da die Standbesitzer*innen ahnen, künftig durch Restaurantketten ersetzt zu werden. Da viele der Verkäufer*innen das Familiengeschäft ihrer Großeltern übernommen haben, verfügen sie oft über kein rechtsgültiges Dokument, das ihnen das Recht auf ihren Stand gewährleisten könnte.
Der Anwalt des Perseverancia-Platzes erklärt, dass man die Dinge in Kolumbien vor 50 Jahren anders gehandhabt hat und solche Dokumente nicht nötig gewesen seien. Heutzutage würde der IPES diese aber verlangen und versuche die älteren Menschen des Marktkollektives dazu zu bringen, für diese ungünstige Pachtverträge zu unterzeichnen, die sie nicht verstehen würden. Laut dem politischen Sprecher spalte die Stadtverwaltung den Zusammenhalt der familiären Marktgemeinschaft, da sich einige inzwischen den Regeln gebeugt hätten und andere sich von Geldangeboten locken ließen. Auf die Sorgen und Protestaktionen habe der IPES im Laufe eines Jahres bisher nur leere Versprechen gemacht oder reagiere überhaupt nicht, erklärt der Sprecher.
Das Ministerium für Kultur und Sport geht einen anderen Weg und erkennt die Bedeutung des Schutzes traditioneller Bräuche. Im Rahmen des «Plan de Cultura 2038» will es die kulturelle Vielfalt und den Austausch in Bogotá fördern. Ziel ist es, die Traditionen der Stadt zu bewahren und die Ausübung von Rechten durch künstlerische und kulturelle Praktiken zu stärken. Dafür ruft das Ministerium die Bürgerschaft auf, sich aktiv am Prozess zu beteiligen und so den Multikulturalismus und den sozialen Zusammenhalt zu unterstützen.