In Sachsen wurde zuletzt ein neues politisches Format erfunden: das »Kennenlerngespräch«. Bisher war es üblich, dass Parteien vor Gesprächen über einen Koalitionsvertrag sondierten, ob Verhandlungen aussichtsreich sind. Nun gibt es ein Vorspiel zum Vorspiel. Den Sondierungs- werden besagte Kennenlerngespräche vorgeschaltet. Vorige Woche gab es diese jeweils zwischen CDU und SPD auf der einen und dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) auf der anderen Seite, am Montag saßen je fünf Vertreter aller drei Parteien beisammen. Die Unterredung dauerte sechs Stunden, Inhalte wurden nicht bekannt. Am Freitag folgt die nächste Runde.
Die übervorsichtige Annäherung hat Gründe. Zwar regieren CDU und SPD in Sachsen seit zehn Jahren miteinander, seit 2019 unter Beteiligung der Grünen[1]. Nach der Wahl vom 1. September hätte dieses Bündnis aber nur eine Mehrheit, wenn zusätzlich Die Linke eingeschlossen würde. Es braucht viel Fantasie, um sich vorzustellen, wie ein solch heterogenes Viererbündnis praktisch funktionieren sollte. Ohnehin hat die CDU eine Zusammenarbeit mit der Linken ausgeschlossen.
Bleibt als Alternative zu einer Koalition von CDU und AfD, die erstere nicht will, nur ein Bündnis unter Einschluss des BSW[2], dem der skurrile Name »Brombeer-Koalition« verpasst wurde, weil die Frucht während des Reifens alle drei Parteifarben aufweist. Der dritte Partner indes ist erst wenige Monate alt und verfügt in Sachsen nicht einmal über eine dreistellige Zahl an Mitgliedern. Zwar finden sich darunter erfahrene Politiker. Zu den Unterhändlern gehören mit Landeschefin Sabine Zimmermann und ihrem Vize Lutz Richter[3] zwei Ex-Abgeordnete der Linken in Bundes- und Landtag. Trotzdem sprach Kretschmer im Wahlkampf von einer »Black Box«. Dank der Kennenlerngespräche fiel nun Licht in die Schachtel. Er habe, sagte der Regierungschef der »Freien Presse«, »Menschen getroffen, die aus meiner Sicht sehr seriös und positiv eingestellt waren«. Für eine Prognose, ob eine Koalition zustande kommt, sei es aber zu früh.
CDU-Chef Kretschmer traf beim BSW Menschen, die »sehr seriös und positiv eingestellt« waren.
-
Das liegt an starken Vorbehalten bei beiden Partnern. In der CDU werden diese an der Bundesspitze ebenso geäußert wie an der sächsischen Basis. Bundeschef Friedrich Merz sagte zuletzt, er halte Koalitionen mit dem BSW[4] für »sehr, sehr, sehr unwahrscheinlich«. Sollte die Wagenknecht-Partei eine Positionierung gegen die USA und für Russland durchsetzen wollen, gehe es für die CDU ans Eingemachte. Er favorisiert eine Duldung oder andere Formen der Zusammenarbeit. Kretschmer wiederum betont, eine Mehrheitsregierung sei »immer die bessere Lösung«. Aber auch sächsische Politiker wie Georg-Ludwig von Breitenbuch, Kreischef im Leipziger Land und bisher Fraktionsvize im Landtag, sind zurückhaltend. Die Vergangenheit von Parteichefin Wagenknecht in der Kommunistischen Plattform der PDS rüttle »an den Grundlagen der bürgerlichen Volkspartei CDU«, zitiert ihn die »Freie Presse«.
Auch in der SPD stört man sich an der in ihrer Partei sehr dominanten Wagenknecht. Diese trete »für Positionen ein, die sich mit der SPD-Sicht schwer vereinbaren lassen«, sagte Landeschef Henning Homann und nannte den Kurs gegenüber der Ukraine oder die Art, wie sich Wagenknecht »selbst inszeniert«. BSW-Landeschefin Zimmermann wiederum wehrt sich gegen die Vorwürfe. Man sei angetreten, um eine »neue politische Kultur[5]« und eine »Befriedung der Gesellschaft« hinzubekommen.
Ob die Partei dazu Gelegenheit in Regierungsverantwortung bekommt, bleibt wohl noch lange offen. 2019 stand der Koalitionsvertrag von CDU, Grünen und SPD Anfang Dezember. Diesmal dürfte mehr Zeit nötig sein. Alexander Dierks, der CDU-Generalsekretär, hat auf »lange Gespräche« vorbereitet und betont, man werde »Stück für Stück« nach politischen Schnittmengen und Kompromissen suchen.
Endlos viel Zeit ist freilich nicht. Am 1. Oktober konstituiert sich der neue Landtag, zu dessen Präsident Dierks nach Vorstellung der CDU gewählt werden soll. Danach räumt die Landesverfassung vier Monate Zeit ein, um einen Ministerpräsidenten zu wählen, was die Formierung einer Koalition voraussetzt. Die Frist läuft, weil der 1. Februar ein Samstag ist, am 3. Februar ab. Ist aus dem Kennenlernen bis dahin keine Koalition erwachsen, muss neu gewählt werden.
Keine Rolle bei der Regierungsbildung spielt Die Linke. Sie ist nach dem Scheitern an der Fünfprozent-Hürde nur dank zweier Direktmandate im Landtag vertreten – mit einer Mini-Fraktion aus sechs Abgeordneten. Diese wählten am Dienstag Susanne Schaper zur neuen Fraktionschefin. Sie war Spitzenkandidatin und ist Teil der Doppelspitze der Landespartei. Neue parlamentarische Geschäftsführerin wurde Luise Neuhaus-Wartenberg, die bisher Vizepräsidentin des Landtags war. Auf einen solchen Posten hat die Fraktion verzichtet.