Warum die Deutsche Bahn[1] meine Reise nach Hamburg[2] zu einem Abenteuer werden ließ, erschloss sich mir am Abend, als ich an den Landungsbrücken die Fähre nach Finkenwerder betrat. In Fahrtrichtung ging die Sonne hinter Schiffen, Kränen und Elbe unter. Zurückgeschaut ging der Mond über der abendlichtstrahlenden Elbphilharmonie auf, über uns die Möwen.
Berlin, ein Oktoberdienstag. Gebucht war der Zug halb drei ab Hauptbahnhof. Die mittags per App verkündete Verspätung von 150 Minuten[3] (»Reparatur an der Oberleitung«) lässt mich das letzte Flixbus-Ticket für 14:15 Uhr ab Alt-Tegel erwerben. Sprint zur U-Bahn, dann per Bus vom Kurt-Schumacher-Platz zum Ziel. Ich warte auf den verspäteten Flixbus, checke die DB-App und erfahre, dass mein ursprünglicher Zug einen Ersatz gestellt bekam. Ich überlege, von Alt-Tegel nach Spandau zu rasen – und bleibe. Der Bus kommt, alles gut. Ich stand eine halbe Stunde später als geplant im Sonnenuntergangs-Spektakel auf dem Schiff und bedankte mich leise.
Über dem Finkenwerder trafen sich Hunderte von Krähen zum Abendschwatz, meine Freunde kredenzten mir Kürbiscremesuppe und Sofaschlafplatz, schwärmten vom Genossenschaftswohnen und Schwimmen gehen mit Elbblick[4], nachts quietschte der Petroleumhafen in meine Träume.
Mittwoch. Die Morgenfähre hält Sonnenaufgang und Islandwind parat, ich bin allein auf Deck. Landungsbrücken erklimmen, U-Bahn fahren, Kaffee trinken am Niendorfer Markt. In einer schicken Aula erzähle ich jungen Menschen vom Herbst vor 35 Jahren, als ich wegen eines Fluchtversuchs im Gefängnis[5] saß. Ein Schüler fragt: »Hätten Sie nicht vielleicht doch noch glücklich werden können, wenn es die DDR weiter gegeben hätte?« Ich muss nachdenken und komme zu dem Schluss, dass es mich in dem Falle wohl nicht mehr geben würde. Ich stand mit Freunden bereits auf Listen für unerwünschte Personen, für die Umerziehungslager geplant waren. Auf jeden Fall würde ich heute nicht vor ihnen sitzen und nicht eine Stunde später in einem Solebad[6] bei sphärischen Klängen unter gemütlichem Holzhimmel driften.
Das Kaifu-Bad am Kaiser-Friedrich-Ufer ist das älteste Schwimmbad Hamburgs und verfügt wie fünf andere in der Stadt über ein ganzjährig nutzbares Freibad[7] mit 25 Grad warmem Wasser. Zwischen Kokos-Kürbiscremesuppe und Himalaja-Stein-Sauna probiere ich draußen die Schnellschwimmbahn. Eine Handvoll Trainierende durchackert das Metallbecken, daneben lassen sich ebenso viele unter goldenem Herbstlicht Zeit. Drinnen schwimmt es sich wärmer zwischen blauen Kachelstreifen und Oberlichtern. Die alte Halle ist zauberhaft gestaltet, Mosaike ziehen sich durch das gesamte Bad, das im Sommer mit seinen Freiflächen gigantische Ausmaße haben muss: zwei Hallen, mehrere Saunen, etliche Bahnen – und an Dienstagen darf hier oben ohne gebadet werden.
Der ICE fährt pünktlich ab, ich sehe in Salzwedel einen Schwarm Dohlen, noch einmal die Elbe im letzten Sonnenlicht und den Vollmond bis Spandau. Im Berliner Hauptbahnhof landen wir ganze vier Minuten zu früh.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1186311.schwimmen-schwieriges-berlin-spektakel-in-hamburg.html