- Politik
- Antisemitismus
Kritik an »Resolution zum Schutz jüdischen Lebens«
Ex-Justizministerin Däubler-Gmelin und weitere SPD-Politikerinnen stellen sich gegen die umstrittene Antisemismusresolution
Der Kampf um die umstrittene Antisemitismusresolution geht weiter. Am Donnerstag soll das Papier vom Bundestag verabschiedet werden – kurz vor Beschluss formiert sich in den Reihen von SPD und Grünen Widerstand gegen das gemeinsame Vorhaben der Fraktionen von CDU und den Ampelparteien.
Eine wahrlich zähe Geburt
Ihr bisheriger Weg war holprig – und das ist eine Untertreibung. Monatelang hatten die Bundestagsfraktionen um den Entwurf für die sogenannte »Resolution zum Schutz jüdischen Lebens« gerungen, die eigentlich schon vergangenen Herbst hätte verabschiedet werden sollen. Nach der Hamas-Attacke am 7. Oktober wollten CDU und Ampelfraktionen ein klares Zeichen setzen – gegen Antisemitismus und für die deutsche Staatsräson. Erst im Sommer stand der erste gemeinsame Entwurf und wurde gleich geleakt. Dann kam Kritik aus allen Ecken.
Auf ein empörtes Schreiben des bayerischen Verfassungsrichters Jerzy Montag folgten unzählige offene Briefe. Rechtswissenschaftler, israelische NGOs, jüdische Intellektuelle, Amnesty Deutschland, sie alle stellten sich gegen das Papier. Nun ja, nicht gegen das Papier an sich, sondern vor allem gegen zwei umstrittene Punkte darin: Die Verknüpfung staatlicher Fördermittel für Kunst, Wissenschaft und Zivilgesellschaft an eine Antisemitismusprüfung und die Definition der Internationalen Allianz zum Holocaustgedenken (IHRA), die dafür herangezogen werden soll.
Die Kritiker sehen darin eine staatliche Gesinnungsprüfung und massive Einschränkung der Kunst- und Wissenschaftsfreiheit. Ihre Befürworter sagen, genau solche Maßnahmen brauche es, um gegen den sich ausbreitenden Antisemitismus vorzugehen. Dazu gehören etwa die Deutsch-Israelische Gesellschaft, der Zentralrat der Juden und die »Vereinigung jüdischer Hochschullehrender«.
Die Resolution steht – ihre Kritiker sind enttäuscht
Seit Ende letzter Woche steht der finale Entwurf, am Donnerstagmorgen soll er im Bundestag beschlossen werden. Die beiden kritisierten Punkte – der Förderpassus und IHRA-Definition – sind weiterhin enthalten, es kamen sogar noch weitere kontroverse Formulierungen dazu.
Die Zunahme von Antisemitismus nach dem 7. Oktober 2023 sei »sowohl auf einen zunehmend offenen und gewalttätigen Antisemitismus in rechtsextremistischen und islamistischen Milieus als auch auf einen relativierenden Umgang und vermehrt israelbezogenen und links-antiimperialistischen Antisemitismus zurückzuführen«, heißt es darin. Und weiter: In den vergangenen Monaten sei »das erschreckende Ausmaß eines Antisemitismus deutlich geworden, der auf Zuwanderung aus den Ländern Nordafrikas und des Nahen und Mittleren Ostens basiert, in denen Antisemitismus und Israelfeindlichkeit auch aufgrund islamistischer und antiisraelischer staatlicher Indoktrination verbreitet sind.«
Entsprechende Gesetzeslücken müssten geschlossen und repressive Möglichkeiten konsequent ausgeschöpft werden. Dies gelte in besonderem Maße im Strafrecht sowie im Aufenthalts-, Asyl- und Staatsangehörigkeitsrecht.
Aber nicht nur der Inhalt, sondern auch die Form der Resolution hat sich leicht »verschärft«: Inzwischen handelt es sich nicht mehr um einen Entschließungsantrag, sondern nur noch um einen Antrag. Heißt: Es braucht keine Aussprache im Ausschuss, das Papier kann völlig unabhängig und ohne Diskussion im Parlament beschlossen werden. Das bestätigt den Eindruck, dass die Fraktionsspitzen die Resolution so schnell wie möglich und ohne weiteren Terz über die Bühne bringen wollen. Letzteres ist jetzt schon gescheitert. Innerhalb der Grünen-Fraktion versuchen derzeit einige Abgeordnete, sich gegen das Vorhaben zusammenzuschließen, wie »nd« aus Fraktionskreisen erfuhr. Innerhalb der SPD hat sich Widerstand gegen die Resolution bereits formiert.
Der Beschluss wird kommen – doch nicht ohne Widerstand
In einem Brief an die Fraktionsspitze mit dem Titel »Wider die geplante sog. Antisemitismus- Resolution des Deutschen Bundestages«, der »nd« vorliegt, schreibt die Ex-SPD-Justizministerin Herta Däubler-Gmelin: »Dieser Weg ist falsch, der Bundestag sollte ihn nicht gehen«. Wer meine, mit einer nur kleinsten Zirkeln bekannten Festlegung durch einen Bundestagsbeschluss Verhalten und Meinung regulieren, ja mit finanziellen Sanktionen die Zivilgesellschaft disziplinieren zu sollen: »Der sät Wind und wird – wieder einmal – Sturm ernten«, heißt es in dem Schreiben weiter. Gerade der Wissenschaftsfreiheit und der Zivilgesellschaft, denen es um das Ende des Leidens der Menschen im Nahen Osten und ihre friedliche Zukunft gehe, schade man mit der Resolution.
Nina Scheer, Vorstandsmitglied und klimapolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, fordert ebenfalls eine Überarbeitung der Resolution. Diese enthalte »Aussagen, die ich sowohl in rechtlicher als auch politischer Hinsicht für falsch und nicht tragbar halte«, schreibt Scheer in einem Statement. Weiter fordert sie eine transparente parlamentarische Auseinandersetzung mit dem Resolutionstext und der IHRA-Definition sowie den aus der Zivilgesellschaft unterbreiteten alternativen Vorschlägen.
Auch Isabel Cadematori, verkehrspolitische SPD-Sprecherin, wendet sich mit einem internen Schreiben, das »nd« vorliegt, direkt an die Fraktionsspitze: »Da der Antragstext bis letzten Freitag geheim verhandelt worden ist und bis Sonntag der gesamten Fraktion nicht vorgelegt wurde, konnte eine notwendige kritische Debatte nicht stattfinden.«
Die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung habe der Fraktion eine Übersicht aller Protestbriefe gegen die Resolution zur Verfügung gestellt und weise »eindringlich darauf hin, welche Gefahr der Antrag für ihre internationale Arbeit birgt«. Die öffentlich geäußerten Bedenken seien in den Resolutionsverhandlungen nahezu vollständig beiseite gewischt worden. »Dieser Antrag schütze nicht jüdisches Leben, sondern spaltet die Gesellschaft zutiefst und schränkt Grundrechte ein«.
»Alles, was in Wissenschaft und Kultur Rang und Namen in Deutschland hat, hat sich gegen unseren interfraktionellen Antrag öffentlich positioniert,« so Cadematori weiter. Viele von ihnen seien Partner*innen der SPD, die mit ihrer Expertise und ihrem Wirken die Politik der Partei begleiteten. »Sind wir es Ihnen nicht schuldig, eine öffentliche Diskussion mit Ihnen zu führen?«
Damit verweist die SPDlerin auf eine Alternativresolution, die vergangene Woche in der »Frankfurter Allgemeinen« veröffentlicht worden war. Die Autoren Ralf Michaels, Miriam Rürup, Jerzy Montag, legen darin dar, wie ein Bekenntnis zum Schutz jüdischen Lebens ohne repressive Maßnahmen aussehen könnte. Ein offener Brief zur Unterstützung hat inzwischen mehr als 1600 Unterzeichner, darunter prominente Namen wie der Politiker Daniel Cohn-Bendit oder die ehemalige Bundesverfassungsrichterin Susanna Baer.
Dass die bisherige Resolution wirklich noch verhindert werden kann, ist unwahrscheinlich. Endlich wurde man sich nach so langem Hin und Her einig. Die Fraktionsspitzen wollen den Text nicht wieder an die Verhandler geben. Der Druck ist hoch, die Resolution zum 9. November, dem Gedenktag der Naziprogrome, zu veröffentlichen. Und wer jetzt gegen die Resolution stimmt, hat zu befürchten, in der nächsten Hetzkampagne von »Bild« als Antisemit diffamiert zu werden, wie es 2019 mit jenen Abgeordneten passierte, die nicht für die ebenso umstrittene und rechtlich heikle BDS-Resolution stimmten.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.