In Europa herrscht das Narrativ vor, der Autoritarismus werde in erster Linie von Staaten wie China oder Russland vorangetrieben. Sie haben in Ihrem Vortrag auf der Konferenz der Rosa-Luxemburg-Stiftung [1]behauptet, der Imperialismus sei weiterhin ein Monopol der USA und ihrer europäischen Verbündeten. Inwiefern?
Ich würde sehr konventionell argumentieren: Hinter dem Imperialismus steht die Tendenz der überschüssigen Kapitale, jenseits der eigenen Staatsgrenzen nach Anlagemöglichkeiten zu suchen und damit gesellschaftliche Widersprüche zu externalisieren. Dieser Imperialismus ist im Abstieg begriffen, und die Ausbreitung der Kriege hat genau damit zu tun: Das westliche Kapital sieht das Ende seines Privilegs heraufziehen. Es tut alles, um seine Vormachtstellung, die es ökonomisch einbüßt, militärisch zu behaupten.
Als die Globalisierungserzählungen en vogue waren, haben Sie betont, dass das Kapital zur Durchsetzung seiner Interessen nach innen und außen immer einen starken Staat benötigt. Aber das stimmt doch für China genauso wie für den Westen.
Allein die Existenz eines starken freien Unternehmertums macht meiner Meinung nach noch kein kapitalistisches Land. Die entscheidende Frage ist, wer die Staatsmacht kontrolliert. In China ist dies die Partei, im Westen das Kapital. Das macht einen großen Unterschied. Die zweite große Differenz ist die Militärpräsenz. Schauen Sie sich an, wer wo wie viele Militärposten unterhält. Bei den USA sind es 700 oder 800 ausländische Militärstützpunkte – die meisten hiervon um China und Russland herum gruppiert. Im Fall Chinas gibt es nur ein paar. In diesem Sinne glaube ich nicht, dass China ein imperialistischer Konkurrent der USA ist.
Wenn Sie eher den Westen als China oder Russland für den sich ausbreitenden Autoritarismus verantwortlich machen, wo sehen Sie dann Präsidenten wie Bolsonaro in Brasilien oder Modi in Indien?
Beide Präsidenten verzichten darauf, den Imperialismus herauszufordern. Zudem würde ich Modi mehr noch als Bolsonaro als typisch faschistischen Führer bezeichnen. Ich bin sehr froh, dass er gerade die Parlamentswahlen verloren hat.