Sie waren als Ministerin für Energie und Bergbau Teil der linken Regierung Kolumbiens[1], die unter Präsident Gustavo Petro eine radikale Energiewende vollzieht. Ziel ist der Ausstieg aus dem Export fossiler Brennstoffe wie Erdöl. Welche Alternativen gibt es dazu?
Eine der wichtigsten Strategien für die Regierung ist, die Lizenzgebühren aus den kohlenstoffintensiven Rohstoffen[2] durch Tourismus zu ersetzen. Und zwar nicht irgendeinen Tourismus, sondern ökologischer oder grüner Tourismus – alles, was mit der Aufwertung der biologischen Vielfalt zu tun hat. Ein weiterer Faktor ist die Stärkung und Entwicklung der Agrarkultur, also der traditionellen bäuerlichen Landwirtschaft im Gegensatz zur industriellen Landwirtschaft, die großflächige Monokulturen reproduziert. Wir wollen kleinbäuerliche Produktionen stärken. Die dritte Linie ist die Industrialisierung. Diese ist allerdings sehr schwierig, weil sie viele Investitionen und eine neue Marktstruktur erfordert. Der vierte Punkt sind die grünen oder erneuerbaren Energien, bei denen es um die Förderung von Solar- und Wind-Energiequellen geht. Wir haben aber auch die Geothermie in Betracht gezogen sowie grünen Wasserstoff. Dieser ist in ganz Lateinamerika sehr populär, hat sich aber noch nicht zu einer Handelsware entwickelt.
Während der Pandemie schloss der Schweizer Riesenkonzern Glencore[3] das Kohlebergwerk Prodeco in La Jagua de Ibírico im Norden Kolumbiens. Etwa 7000 Arbeiter verloren ihren Arbeitsplatz, lokale Unternehmen mussten schließen und die Gemeinde verlor 85 Prozent ihrer Einnahmen. Wie kann ein sozial gerechter Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen gelingen?
Prodeco ist ein hervorragendes Beispiel für die denkbar schlechteste Entscheidung, die von der früheren Regierung getroffen wurde. Der Grund dafür ist, dass es überhaupt keinen Übergang gab. Das Bergwerk wurde von einem Tag auf den anderen geschlossen und es wurde keine neue Wirtschaft auf lokaler Ebene geschaffen. Die Arbeiter müssen für eine andere Tätigkeit geschult und in einer anderen Branche eingesetzt werden. In den lokalen Gebieten müssen beispielsweise alle Umweltschäden, die die Minen verursacht haben, behoben werden. Man kann den Berg nicht einfach mit einem riesigen Loch in der Mitte zurücklassen, ohne eine weitere Verantwortung zu übernehmen.
Vor Ihrer Ernennung zur Ministerin machten Sie sich einen Namen als Forscherin und Umweltaktivistin. Wie wurden Sie von der Aktivistin zur Ministerin?
Präsident Gustavo Petro wollte diesen speziellen Sektor, der immer sehr unternehmensorientiert war, einer Umweltschützerin übertragen. Unser nationaler Entwicklungsplan hat drei Säulen: Umweltgerechtigkeit, wirtschaftliche und soziale Gerechtigkeit. Petro wollte für das Amt jemanden, der sich für ein neues Energieparadigma einsetzt, das sich vom traditionellen Extraktivismus – also dem Abbau von Rohstoffen zum Zweck des Exports auf dem Weltmarkt – und Gewinnorientierung abwendet. Also wählte er mich für die Aufgabe. Wir erfahren allerdings heftigen Widerstand von den traditionellen Eliten.
Ihre Forschung konzentrierte sich auf Umweltkonflikte, die durch den Goldrausch in Bergbauregionen entstanden. Wie konnten Sie Ihr Wissen anwenden?
Ich habe den Umweltrassismus in Kolumbien und die ungleiche Verteilung des Wohlstands insbesondere in ländlichen Gebieten erforscht. Dabei habe ich schon immer Methoden angewandt, um Betroffene zu beteiligen. Das Ziel des Präsidenten war, dass wir so viel wie möglich mit den lokalen Gemeinschaften zusammenarbeiten und mit ihnen neue politische Strategien für die Energiewende entwickeln. Wir traten also in Dialog mit vielen verschiedenen Gemeinschaften wie Gewerkschaften und indigenen Völkern und haben versucht, ihre Vorstellungen von Veränderungen zu formulieren und regionale Unterschiede zu berücksichtigen. Das war eine große Herausforderung, die wir als Regierung sehr erfolgreich gemeistert haben. Aber die Brücke zum privaten Sektor zu schlagen, ist schwieriger.
Wenn die Umwelt nach dem Weggang eines solchen Unternehmens stark geschädigt wurde und die Wasserressourcen knapp geworden sind, welche Schritte braucht es, um das ökologische Gleichgewicht wiederherzustellen?
Es braucht eine Planung unter Beteiligung der Betroffenen. Um das Prodeco-Problem zu lösen, haben wir beispielsweise ein Jahr lang Workshops mit den lokalen Gemeinden und den Gewerkschaften abgehalten und versucht, gemeinsam mit ihnen einen neuen Regionalentwicklungsplan zu erstellen. Eines der größten Probleme ist, wie man es später finanziert. Die einzigen Finanzierungskanäle, die wir haben, sind Schulden wie Staatsschulden – und da haben wir bereits unsere Grenzen erreicht. Als Russland kein Gas mehr verkaufte, fragte uns Deutschland, ob wir die Kohleexporte ausweiten könnten. Seit dreißig Jahren exportiert Kolumbien Kohle nach Deutschland. Es gibt also einen historischen Bedarf an unseren Energiequellen für den Energieverbrauch in Deutschland. Deshalb finden wir Kompensationen oder Ausgleichszahlungen von Partnerländern wie Deutschland für den Übergang angemessen. Präsident Petro hat mit Bundeskanzler Olaf Scholz über Schuldenumwandlungen für Klimaschutzmaßnahmen gesprochen. Die Idee ist, dass wir die Auslandsschulden nicht mehr bezahlen und diese stattdessen für Klimaschutzmaßnahmen oder soziale Investitionen verwenden. Aber das zu entscheiden, liegt bei den Banken und den jeweiligen Regierungen.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1187255.klimaschutz-eine-radikale-energiewende.html