Die Folterkeller von Assad in Syrien

Die Gefängnisbefreiungen in Syrien offenbaren menschliche Abgründe, die dort lange vermutet wurden

Nach dem Sturz des Assad-Regimes werden die schlimmsten Vermutungen über Syriens Foltergefängnisse bestätigt.
Nach dem Sturz des Assad-Regimes werden die schlimmsten Vermutungen über Syriens Foltergefängnisse bestätigt.

Es sind unfassbare Szenen, die sich in den Tagen des Sturzes des Assad-Regimes fast live per X und Facebook mitverfolgen lassen. Bewaffnete Rebellengruppen stürmen ein Gefängnis nach dem anderen, öffnen mit roher Gewalt die Türen der Zellen und rufen den Insassen aufgeregt entgegen: »Kommt, kommt, er ist weg, das Regime ist gefallen!« Die Häftlinge scheinen kaum zu begreifen, was geschieht, laufen, taumeln oder humpeln in Richtung Freiheit, von der sie vermutlich nie dachten, dass sie sie erlangen würden.

Das berüchtigtste der Assad-Gefängnisse ist das Sednaya-Militärgefängnis, in dem während und nach der syrischen Revolution von 2011 Tausende politische Oppositionelle landeten. Am Montag konnten laut Rettungskräften die letzten Gefangenen befreit werden.

Jeder in Syrien kennt die Geschichten aus Sednaya, auch »human slaughterhouse« genannt. Es sind Geschichten von menschlichen Abgründen – von engen überfüllten Räumen ohne Licht, von psychischer und physischer Folter, von Vergewaltigungen und Exekutionen.

Schon 2016 gelang es Amnesty International gemeinsam mit Forensic Architecture, anhand von Zeugenaussagen die Verbrechen des Regimes zu dokumentieren. Laut dem Syrischen Netzwerk für Menschenrechte (SNHR) starben seit 2011 über 15 000 Menschen, darunter 190 Kinder und rund 90 Frauen, in den Gefängnissen des Regimes. 130 000 galten laut der syrischen Organisation als »forcibly disappeared«, also als durch das Regime verschleppt.

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Jahrelang wurden Angehörige von der Ungewissheit geplagt, ob ihre Lieben tot sind oder sich in den Folterkammern des Assad-Regimes befinden. Die vergangenen Tage erlebten sie als eine schmerzhafte Mischung aus Freude über den Fall des Regimes, Hoffnung, dass ihre Freunde und Familienmitglieder zu den Befreiten gehören, und der Angst, dass die Ungewissheit über ihr Schicksal von der Gewissheit über ihren Tod abgelöst wird.

In den sozialen Medien zirkulieren etliche Freudengeschichten: Ein Mann aus dem Nordlibanon kehrt nach 33 Jahren in Gefangenschaft in sein Dorf zurück. Eine syrische Frau hält nach drei Jahren in Sednaya zum ersten Mal ihre Kinder im Arm. Ein Pilot der syrischen Lufwaffe, der 1981 verhaftet wurde, weil er den Befehl von Hafiz Al-Assad verweigerte, die Stadt Hama zu bombardieren. Ein Schwarz-Weiß-Foto zeigt ihn als jungen Mann in Uniform, jetzt ist er ein Greis, aber er ist frei.

Vor allem offenbaren die Gefängnisbefreiungen aber eine Realität, die die schlimmsten Vermutungen über Assads Gefängnisse bestätigt: Ein Video zeigt Frauen, die mit kleinen Kindern aus Gefängniszellen laufen – Kinder, die durch Vergewaltigung der Insassinen gezeugt wurden und noch nie die Außenwelt erblickt haben. Junge Männer, die zitternd in einer Ecke kauern, kaum imstande sind zu sprechen und offenbar ihr Gedächtnis verloren haben. In einem Raum des Sednaya-Gefängnisses werden Leichensäcke gefunden, die darauf hinweisen, dass noch kurz vor der Befreiung Häftlinge exekutiert wurden. Ein Reporter von Al Andalou fotografiert Räume, in denen Hunderte von alten Schuhen auf dem Boden liegen.

»Ich werde diese Erinnerungen nie aus meinem Kopf bekommen«, erzählt Martin Lautwein, der selbst einmal in einem Regimegefängnis saß, »nd«. 2018 arbeitete er für eine Hilfsorganisation im Nordosten Syriens. Dann wurde er von Regimekräften festgenommen und landete einen Tag später in der Palestine Branch, ein vom syrischen Geheimdienst betriebenes Gefängnis nahe Damaskus.

»Ich habe nicht mehr auf meine Freilassung gewartet, sondern auf meine Hinrichtung.«

Martin Lautwein Ex-Häftling

»Die meiste Zeit verbrachte ich in Isolationshaft, in einer Zelle, die etwa vier Quadratmeter groß war. Es gab kein Bett und keine Toilette, nur eine Decke auf dem Boden, überall krabbelten Kakerlaken.« Jeder im Gefängnis habe Läuse gehabt, sämtliche Formen von Krankheiten hätten dort grassiert, so Lautwein. Kontakt zu anderen Insassen war verboten. »Selbst wenn man sich im Flur anlächelte, gab es Schläge.«

»Ich war zwischendurch mehrere Tage auf der Verhöretage eingesperrt. Dort hörte man die ganze Zeit über die Schreie der anderen Insassen, die gefoltert wurden.« Auch er selbst habe Folter erfahren, dies sei aber in keinster Weise vergleichbar mit dem, was syrischen Häftlingen angetan wurde, betont der 33-Jährige. »Nachdem uns beim Verhör erklärt worden war, dass uns Spionage vorgeworfen wurde und uns die Todesstrafe droht, habe ich nicht mehr auf meine Freilassung gewartet, sondern auf eine Hinrichtung.« Nach 48 Tagen kam Lautwein wieder frei, weil er einen deutschen Pass besaß.

Die allermeisten Geschichten gehen anders aus. Zwar bangen viele Menschen weiter und hoffen, ihre Angehörigen noch unter den Befreiten zu finden, andere suchen nach geheimen, noch unentdeckten Kerkern – bisher vergebens. Am Montag verkündete Fadel Abdul Ghany, der Leiter des SNHR, bei einem syrischen Oppositionssender, was so viele befürchtet hatten: »Ich bereue zutiefst, Ihnen dies mitteilen zu müssen. Aber ich sehe es als meine Pflicht. Der Großteil der Menschen, die unter dem syrischen Regime verschwunden sind, ist tot. Es tut mir leid.« Dann bricht er in Tränen aus.

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