»Wir haben auf bittere Art lernen müssen, dass Zivil- und Katastrophenschutz wichtig ist.« Sie seien das A und O für eine sichere Gesellschaft. Das sagte Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne), als sie am Montag das Logistikzentrum des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) am alten Flughafen Schönefeld besuchte (»nd« berichtete). Baerbock besichtigte das Pilotprojekt einer mobilen Zeltstadt[1], in der im Fall der Fälle mindestens 5000 Menschen untergebracht und versorgt werden können – eingerechnet 170 pflegebedürftige Personen und 114 schwangere Frauen.
Nach Auskunft des Bundesinnenministeriums ist das 2020 gestartete Projekt »noch nicht abgeschlossen und auch noch nicht alles Material beschafft worden«. So ließ es sich auch Außenministerin Baerbock berichten. Bei ihrem Eintreffen wies sie am Montag gleich darauf hin, dass sie ja nicht nur Ministerin sei, sondern darüber hinaus für Brandenburg als Abgeordnete im Bundestag sitze – wie um zu erklären, was sie hier verloren habe bei einem Vorhaben des Bundes, für das ihr Ressort gar nicht zuständig ist.
»Das beste Argument dafür, grundsätzlich Frieden anzustreben, ist die lange Mängelliste im Bereich des Zivilschutzes im Inland!«
André Hahn Linke-Bundestagsabgeordneter
Klar zuständig für die Zeltstadt ist Philipp Wiesener, Teamleiter beim DRK-Generalsekretariat, der Baerbock zusammen mit Kollegen vom DRK-Landesverband Brandenburg in der Lagerhalle herumführte, in der das Material für die Zeltstadt aufbewahrt wird. Die Experten erklärten Baerbock, dass vom Bund vorgesehen sei, zehn sogenannte 5000er Einheiten aufzubauen, um eine Betreuungsreserve für 50 000 Menschen vorzuhalten. Sie sprachen auch die Finanzierung an. Es brauche 2,4 Milliarden Euro für den Bevölkerungsschutz. Das seien 0,5 Prozent des Bundeshaushalts, rechnete Wiesener vor. Allein ein einzelnes Spezialfahrzeug zur Versorgung von zwei Patienten, das bei einem Reaktorunglück oder einem Gasaustritt in einem Chemiebetrieb zum Einsatz kommen kann, koste etwa 800 000 Euro, war bei dem Ortstermin zu erfahren.
Wiesener und seine Kollegen schilderten darüber hinaus, dass mit dem bereits beschafften Material geübt wird, um seine Tauglichkeit zu testen. Ein Beispiel: Notstromaggregate eignen sich den gesammelten Erfahrungen nach schlecht, um Antennen für eine Richtfunkstrecke mit Energie zu versorgen. Denn alle acht Stunden müsse Kraftstoff nachgefüllt werden. Es sei beschwerlich, die Kanister auf den nächsten Berg zu schleppen. Das zeigte sich bei der Flutkatastrophe 2021 im Ahrtal. Transportable Solarzellen haben sich als die bessere Lösung herausgestellt und sind inzwischen vorrätig.
»Die Krisen der letzten Jahre haben gezeigt, dass im Einsatzfall ein sehr hoher Bedarf an schnell verfügbaren Ressourcen besteht«, antwortete Innenstaatssekretär Johann Saathoff (SPD) auf eine Anfrage des Bundestagsabgeordneten André Hahn (Linke). Deshalb sei parallel zum Pilotprojekt bereits mit der Beschaffung eines zweiten Betreuungsmoduls für 5000 Personen durch den Arbeitersamariterbund (ASB) begonnen worden. Der ASB orientiere sich bei der Beschaffung an den Erkenntnissen aus dem Pilotprojekt des DRK, das die Grundlagen für die folgenden Betreuungsmodule schaffe und noch bis Ende 2026 laufe. »Die volle Einsatzbereitschaft kann erst dann, nach Abschluss der Konzeptions- und Beschaffungsprozesse, sichergestellt werden«, so Saathoff.
Ursprünglich sollte das Pilotprojekt bereits Ende 2024 abgeschlossen sein. Diese Angabe fand sich am Donnerstag auch immer noch auf der Internetseite des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe[2].
Eine Hängepartie gehe in die Verlängerung, schlussfolgerte der Bundestagsabgeordnete Hahn[3]. »Dieses Projekt hätte angesichts der Naturkatastrophen der letzten Jahre eine Beschleunigung gebraucht, aber nicht eine Verlängerung der sogenannten Testphase«, kritisierte der Oppositionspolitiker. Vergleiche man die zögerlichen Beschaffungen im Verantwortungsbereich des Bundesinnenministeriums, dann stellt sich die Frage, ob das Inkompetenz bei der Planung oder aber schlichter Unwillen zur Umsetzung sei. All das, während die Politik durch immer neue Rüstungsmilliardenprojekte und Waffenlieferungen sowie exzessiv geführter Diskussionen das Land immer mehr in Richtung eines Kriegseinsatzes führe. »Für mich ist einmal mehr deutlich geworden: Das beste Argument dafür, grundsätzlich Frieden anzustreben, ist die lange Mängelliste im Bereich des Zivilschutzes im Inland!«
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1187494.zivilverteidigung-fuer-den-frieden-nicht-geruestet.html