Der Platz vor dem Dortmunder Hauptbahnhof ist voll. Dicht gedrängt stehen sie, tragen Fahnen und Schilder bei sich, auf denen sie »Justice for Mouhamed« fordern. Mouhamed Dramé, ein junger Mann aus dem Senegal, war im Sommer 2022 von einem Polizisten erschossen worden. Die Umstände des Polizeieinsatzes gegen Dramé warfen viele Fragen auf. Ein Prozess gegen die am Einsatz beteiligten Polizist*innen folgte. Am vergangenen Donnerstag wurde das Urteil gesprochen[1]. Freisprüche für alle[2]. Ein Schlag ins Gesicht für alle, die sich Gerechtigkeit von dem Prozess versprochen hatten.
Die Reaktionen? In erster Linie Wut: Am Donnerstagabend eine Spontandemonstration von 300 Menschen durch die Dortmunder Nordstadt. Demonstrant*innen sprachen anschließend von einer dynamischen Demo. Die Polizei von »aufgeheizter Stimmung«.
Am Samstag ist die Stimmung weniger aufgeheizt, auch wenn Wut in vielen Redebeiträgen eine Rolle spielt. Wut über das konkrete Urteil im Fall Mouhamed genauso wie Wut über strukturellen Rassismus bei der Polizei, und dass Polizist*innen vor Gericht fast immer ungeschoren davonkommen.
In Dortmund sind die Polizist*innen auch freigesprochen, weil der Richter zu ihren Gunsten von einem »Erlaubnistatbestandsirrtum« ausgegangen ist. Ein auf der Demonstration verteiltes Flugblatt verdeutlicht, was das bedeuten kann: »Dieses Urteil könnte dazu führen, dass noch weniger Polizist*innen wegen Polizeigewalt angeklagt werden – sie müssen nur »Ich dachte, ich darf das« oder »Ich dachte, ich muss das« sagen.« Das Urteil legitimiere Polizeigewalt gegen Menschen in Ausnahmezuständen und sei ein »Freibrief für Polizeigewalt«, heißt es in dem Flugblatt weiter. Sidy Dramé, ein Bruder des erschossenen, der die Urteilsverkündung als Nebenkläger verfolgte, brachte seine Fassungslosigkeit über das Urteil zum Ausdruck: »Die Familie hat verloren, wir sind verloren. Wenn so die deutsche Justiz funktioniert, habe ich nichts mehr zu sagen.« Am Samstag gingen Sidy und sein Bruder Lassana in der ersten Reihe der Demonstration. Sie waren nicht die einzigen Angehörigen von Menschen, die im Zusammenhang mit Polizeieinsätzen gestorben sind. Auch Mahmadou Saliou Jalloh sprach in Dortmund. Sein Bruder Oury verbrannte 2005 in einer Polizeizelle in Dessau.
Dessau, Dortmund oder Frankfurt, in Redebeiträgen wurde auf tödliche Gewalt durch Polizist*innen im ganzen Bundesgebiet aufmerksam gemacht. Parallelen gibt es zwischen vielen Fällen. Die Opfer sind nicht weiß und befanden sich in einem psychischen Ausnahmezustand. Neben radikaleren Forderungen wie die Polizei abzuschaffen oder in Dortmund die Wache in der Nordstadt zu schließen, wurde auch immer wieder eine bessere Ausbildung für die Polizei und ein anderer Umgang mit psychischen Ausnahmezuständen gefordert.
Ganz reibungslos konnte der Protest in Dortmund nicht verlaufen. Grund dafür war aber nicht die Polizei oder ein gleichzeitig stattfindender Aufmarsch von 130 Neonazis, die teilweise aus Sachsen angereist waren, sondern Streit unter den Demonstrant*innen. Die Organisator*innen vom Solidaritätskreis Mouhamed hatten im Vorfeld darum gebeten, Partei- und Organisationsfahnen nicht mitzubringen und nur themenbezogene Transparente zu zeigen. Die MLPD hielt sich nicht an diese Bitte. Demonstrant*innen versuchten der Kleinstpartei den Weg zu versperren, es kam zu Geschubse. Darauf hatte die Polizei keine Lust und sorgte für Abstand zwischen den MLPD-Anhänger*innen und dem Rest der Demonstration. Aktivist*innen eines anti-ableistischen Blocks, der sich bewusst am Ende der Demonstration positioniert hatte, wurden so vom Rest der Demonstration abgeschnitten. Ein Anti-Ableismus-Aktivist kritisierte die Partei dafür bei der Abschlusskundgebung.