nd-aktuell.de / 17.12.2024 / Politik / Seite 1

Diplomatische Offensiven in Syrien

Europa liefert sich Wettrennen um Kontakte mit den neuen Machthabern in Damaskus

Cyrus Salimi-Asl
Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, war zu Gesprächen über Syrien in der Türkei und sprach dort mit Präsident Recep Tayyip Erdoğan.
Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, war zu Gesprächen über Syrien in der Türkei und sprach dort mit Präsident Recep Tayyip Erdoğan.

Die Türkei darf sich wegen der Syrien-Krise auf einen neuen Geldsegen aus Brüssel freuen: Die Europäische Union will der Regierung in Ankara noch in diesem Jahr zusätzlich eine Milliarde Euro zur Versorgung von Geflüchteten zur Verfügung stellen. Diese Ankündigung brachte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mit zu einem Kurzbesuch beim türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan in Ankara. Das Geld sei bereits auf dem Weg und unter anderem für die Gesundheitsversorgung und Bildung von Flüchtlingen in der Türkei gedacht, sagte sie – und zur Abschottung der Grenzen.

Kein Wort zu türkischen Angriffen

Zu den regelmäßigen türkischen Luftangriffen auf die vor allem von Kurden bewohnten Gebiete Nordsyriens, schwieg von der Leyen dagegen. Auch dazu, dass von der Türkei unterstützte Milizen die Gebiete der kurdischen Selbstverwaltung angreifen[1] und Beobachter eine größere Offensive befürchten. Stattdessen lobte sie das finanzielle Engagement der EU: Seit Beginn des syrischen Bürgerkriegs 2011 habe Brüssel fast zehn Milliarden Euro für die Unterstützung von Flüchtlingen und Aufnahmegemeinschaften in der Türkei bereitgestellt.

»Man könnte von der EU erwarten, dass sie sich gegen die türkische Expansion ausspricht.«

Walter Baier Präsident der Europäischen Linken (EL)

»Man könnte von der Europäischen Union erwarten[2], dass sie sich gegen die türkische Expansion ausspricht«, meint Walter Baier, Präsident der Partei Europäische Linke (EL), dazu gegenüber »nd«. Man müsse politischen Druck auf die Türkei ausüben, immerhin ein Nato-Mitglied, so Baier, »um diese Aggressionen einzustellen, die im Grunde auf eine ethnische Säuberung hinauslaufen«.

Diplomatisches Wettrennen

Das diplomatische Wettrennen[3], wer zuerst wieder mit einer Botschaft in Damaskus vertreten ist, nimmt in diesen Tagen Fahrt auf. Delegationen der EU, Deutschlands und Frankreichs sind in die syrische Hauptstadt gereist, um den Kontakt zur neuen Führung[4] zu suchen. Erklärtes Ziel ist es, nach dem Umsturz in Syrien ein Chaos wie im Irak oder in Libyen zu verhindern. Noch ist die Lage jedoch weiterhin instabil.

Im Westen herrscht zwar Erleichterung über den Sturz der Assad-Regierung – ebenso groß ist aber das Misstrauen gegenüber den neuen Machthabern[5] in Damaskus unter der Führung der islamistischen Miliz Haiat Tahrir Al-Scham (HTS)[6] sowie die Sorge, dass die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) von der unübersichtlichen Lage im Land profitieren könnte.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1187618.syrien-unklarheit-um-kobane.html?sstr=syrien
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1187629.syrien-billige-machtpolitik-in-syrien.html?sstr=syrien
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1187598.hts-buhlen-um-internationale-aufmerksamkeit-fuer-syrien.html?sstr=syrien
  4. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1187516.nahost-der-kampf-um-syrien.html?sstr=syrien
  5. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1187542.ende-der-assad-diktatur-neue-machthaber-in-syrien-ein-wolf-im-schafspelz.html?sstr=syrien
  6. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1187543.miliz-hts-flexibler-islamismus-in-syrien.html?sstr=syrien