Zwei Journalist*innen sind am Donnerstag bei einem türkischen Drohnenschlag südlich der nordsyrischen Stadt Kobanê ums Leben gekommen. Das berichten übereinstimmend die kurdischen Nachrichtenagenturen Anha und Medya News. Das Auto von Nazim Daştan und Cîhan Bilgin wurde demnach kurz nach drei Uhr Ortszeit von einer Drohne angegriffen, als die beiden sich auf dem Rückweg von Dreharbeiten vom heftig umkämpften Tischrin-Staudamm am Euphrat befanden. Ihr Fahrer wurde bei dem Angriff schwer verletzt.
Daştan und Bilgin hatten in den vergangenen Wochen fast durchgehend für verschiedene kurdische Sender von den Kämpfen im Norden Syriens berichtet. Unter anderem auch aus der Stadt Manbidsch, die mittlerweile von der islamistischen SNA-Miliz[1], der sogenannten Syrischen Nationalen Armee, mit Luftunterstützung der Türkei eingenommen wurde.
Es ist nicht das erste Mal, dass Drohnenangriffe der Türkei[2] auch Journalist*innen in den kurdischen Gebieten treffen. Im Sommer waren im Norden des Irak innerhalb eines Monats drei Medienschaffende getötet worden, der jesidische Journalist Murad Mirza und die kurdischen Journalistinnen Gülistan Tara und Hêro Bahadîn. Reporter ohne Grenzen hatte damals vor dem Anstieg der Gewalt gegenüber kurdischen Journalisten im Nordirak gewarnt.
Die Journalistinnenorganisation Women Press Freedom zeigte sich empört über den türkischen Drohnenangriff, bei dem Nazim Daştan und Cîhan Bilgin getötet wurden. Cîhan Bilgin sei bereits die dritte Journalistin, die in diesem Jahr durch einen türkischen Drohnenangriff getötet wurde.
»Wir verurteilen diesen Angriff aufs Schärfste und fordern eine sofortige, unabhängige Untersuchung, um festzustellen, ob diese Journalisten absichtlich getroffen wurden«, heißt es in einer Stellungnahme. »Gezielte Angriffe auf die Presse in einem Konfliktgebiet stellen ein Kriegsverbrechen dar.« Die Türkei müsse für die wachsende Zahl von kurdischen Journalisten, die durch ihre Drohnenangriffe getötet und verletzt wurden, zur Rechenschaft gezogen werden.
Der Tischrin-Staudamm, von dem sich die beiden Journalistinnen auf dem Rückweg befand, als sie Opfer des Drohnenangriffs wurden, ist einer der strategisch wichtigen Übergänge über den Euphrat. Dort kommt es trotz eines von der USA vermittelten Waffenstillstands immer wieder zu Kämpfen zwischen der SNA und der SDF, den sogenannten Demokratischen Kräften Syriens, zu denen maßgeblich auch die kurdischen Volksverteidigungseinheiten gehören.
Aber auch die Türkei greift rund um die Übergänge immer wieder Stellungen der SDF aus der Luft an. Der letzte Tweet von Nazim Daştan lautete: »Entgegen den Waffenstillstandsbehauptungen bereiten sich die Türkei und ihre angeschlossenen Banden auf einen Großangriff auf #Rojava[3] #Kobanê[4] vor ...«
Hintergrund dieser Offensive ist wohl die strategisch und symbolisch wichtige Stadt Kobanê[5] an der Grenze zur Türkei. Diese trennt die beiden von der Türkei und der SNA gemeinsam kontrollierten Gebiete in Nordsyrien. Zudem ist sie von besonderer Bedeutung, da dort der sogenannte Islamische Staat 2015 seine erste bedeutende Niederlage hinnehmen musste.
Die Türkei hat seit Beginn der Kämpfe in Syrien und dem Sturz des Assad-Regimes immer wieder betont, es nicht zuzulassen, dass die SDF und damit auch kurdische Verbände von der Situation profitieren könnten. Die SDF und auch zivile Vertreter der Selbstverwaltung im Norden und Osten Syriens hatten seitdem immer wieder ihrerseits die Bereitschaft zu Verhandlungen über die Zukunft Syriens bekräftigt. Auch zu Zugeständnissen an die Türkei sei man bereit. Zuletzt hatte Maslum Abdi, der Generalkommandant der SDF, sogar die Errichtung einer demilitarisierten Zone in und um die Grenzstadt Kobanê ins Gespräch gebracht. Offizielle Reaktionen der Türkei darauf gab es bislang nicht.
Um die Situation um Kobanê dürfte es mit Sicherheit auch beim Besuch der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock in der türkischen Hauptstadt Ankara gehen. Diese hatte im Vorfeld immer wieder betont, es dürfe in Kobanê kein weiteres Blutvergießen geben.
Unklar bleibt die Haltung der neuen Regierung in Damaskus, die von der islamistischen Miliz Haiat Tahrir Al-Scham (HTS) eingesetzt wurde. Nach Angaben der SDF bestehen Kontakte zu den neuen Machthabern, diese hatten sich seit ihrer Machtübernahme auffallend zurückhaltend zu den Gebieten der Selbstverwaltung geäußert. Am Freitag traf erstmals eine US-amerikanische Delegation zu Gesprächen in Damaskus[6] ein.