Linke dreht mit Gregor Gysi richtig auf

Bundesabgeordneter und Tiktok-Star an die Spitze der Landesliste gesetzt

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 5 Min.
Die ersten drei auf der Landesliste: Gregor Gysi, Ines Schwerdtner (l.) und Katalin Gennburg
Die ersten drei auf der Landesliste: Gregor Gysi, Ines Schwerdtner (l.) und Katalin Gennburg

»Lasst euch nicht von den Umfragen irre machen. Wir kämpfen bis zum letzten Tag – nicht nur um die Direktmandate, auch um die Überschreitung der Fünf-Prozent-Hürde.« Das sagt der Bundestagsabgeordnete Gregor Gysi (Linke) am Freitagabend seinen Genossen. Mit 95 Prozent der Stimmen nominiert ihn der Landesverband Berlin zum Spitzenkandidaten für die vorgezogene Bundestagswahl am 23. Februar.

Immerhin scheint es schon etwas aufwärts zu gehen. Die Meinungsforschungsinstitute sahen Die Linke in den vergangenen Monaten nur bei drei Prozent. Nun sagte die Forschungsgruppe Wahlen der Partei am Freitag bereits vier Prozent vorher. Falls es nicht klappt, sollen Direktmandate die Rettung sein. 1994, 2002 und 2021 waren die Sozialisten an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert, hatten aber Wahlkreise in Berlin gewonnen. Das habe der Partei damals das Überleben gesichert, sagt Gregor Gysi. Es brauche Die Linke im Bundestag, damit dort Gerechtigkeit und Frieden wenigstens gefordert werden, meint er.

Gysi will am 23. Februar einmal mehr seinen Wahlkreis im Berliner Bezirk Treptow-Köpenick gewinnen. 76 Jahre ist er jetzt alt und wird im Januar 77. Aber es kommt noch einmal auf sein Charisma an – und mit einem witzigen Video mit Technomusik und tanzenden Jugendlichen auf der Plattform Tiktok ist Gysi neue Wege gegangen und auf seine alten Tage noch ein »Tiktok-Star« geworden, wie der Linke-Landesvorsitzende Maximilian Schirmer begeistert erzählt.

Gregor Gysi erinnert, er habe 1994 einen gesetzlichen Mindestlohn gefordert und damals seien sogar die meisten Gewerkschaften dagegen gewesen, weil sie dies als Eingriff in die Tarifautonomie betrachteten. Aber es sei gelungen, den Zeitgeist zu verändern. 2015 wurde der gesetzliche Mindestlohn eingeführt. Heute sei eine Mehrheit der Bevölkerung für die Aufrüstung, bedauert Gysi. Es gelte wieder, den Zeitgeist zu verändern.

Erwartungsgemäß überzieht Gysi seine sieben Minuten Redezeit und fordert wie zu Beginn gleich angekündigt, ihm die Zeit draufzuschlagen, in der die Delegierten Gysi im Münzenberg-Saal des nd-Gebäudes während seiner Ausführungen Beifall spendeten. Hier wird nicht nur geklatscht, sondern auch gejuchzt wie bei einem Rockkonzert. Niemand lässt sich die Stimmung von den noch nicht zufriedenstellenden Umfragen vermiesen und schon gar nicht der 85-jährige Delegierte Jörg Pauly, der sich als »hemmungsloser Optimist« bezeichnet.

Derweil sind die Aussichten für viele Einwohner der Hauptstadt düster. »CDU und SPD sparen unsere Stadt kaputt«, beklagt die Linke-Landesvorsitzende Franziska Brychcy. Viele wüssten kurz vor Weihnachten nicht, ob sie im Januar noch einen Job haben und wovon sie dann leben sollen. Ein Berliner Mietendeckel wurde 2021 vom Bundesverfassungsgericht gekippt, weil so eine Regelung auf Landesebene nicht möglich sei. Brychcy zieht die Schlussfolgerung: »Mietendeckel überall, das ist unsere Ziel.« Der Bundestag müsste das in die Wege leiten. Die Berliner Linke will die beiden Bundestagswahlkreise in Treptow-Köpenick und Lichtenberg veteidigen und in den Wahlkreisen Mitte, Neukölln, Pankow und Friedrichshain-Kreuzberg angreifen.

Die Berliner Linke sei bereits im »Wahlkampfmodus«, ergänzt der Landesvorsitzende Schirmer. Es gebe schon Infostände und Haustürwahlkampf. Über die Festtage sollten sich die Parteimitglieder eine kleine Ruhepause gönnen. »Ab Januar drehen wir richtig auf!« Jüngere Genossen wiesen den 34-Jährigen darauf hin, das Wort »fetzig« sei nicht mehr modern. Schirmer schmunzelt und benutzt einen noch antiquierteren Begriff: »Ich wünsche mir einen flotten Winterwahlkampf.«

Mit 31 Prozent liegt in der jüngsten Umfrage die CDU von Friedrich Merz weit vor allen anderen Parteien. Merz hat damit gute Aussichten, Olaf Scholz (SPD) als Kanzler abzulösen. Mit Blick darauf sagt die Linke-Bundesvorsitzende Ines Schwerdtner: »Wir müssen den Sozialstaat gegen jemanden wie Friedrich Merz mit Haut und Haaren verteidigen.«

Schwerdtner erhält am Freitag mit 88,2 Prozent der Stimmen Listenplatz zwei. Als Direktkandidatin in Lichtenberg wurde sie schon im November nominiert. »Lichtenberg bleibt rot«, versichert Schwerdtner. Sie tritt das Erbe der langjährigen Bundestagsabgeordneten Gesine Lötzsch (Linke) an, die den Wahlkreis beginnend mit dem Jahr 2002 immer wieder gewonnen hatte, nun aber aufhört.

Auch Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau hört auf. Sie kommt am Freitag aus einer noch laufenden Parlamentssitzung ins nd-Gebäude und berichtet, wie im Bundestag gerade Vorschläge zur Armutsbekämpfung und zur Tariftreue abgeschmettert worden sind. »In diesem Land werden die Reichen immer reicher und die Armen immer zahlreicher«, wandelt Pau eine bekannte Formulierung kreativ ab. In Paus Wahlkreis Marzahn-Hellersdorf bemüht sich an ihrer Stelle nun Katalin Gennburg von der Berliner Abgeordnetenhausfraktion um einen Sitz um Bundestag. Gennburg bekommt am Freitag den Listenplatz drei mit 79,9 Prozent der Stimmen.

Platz vier erhält der Ex-Bundestagsabgeordnete Pascal Meiser mit 81,3 Prozent, Platz fünf die Krankenpflergerin Stella Meredino mit 91,7 Prozent. Die erste Kampfabstimmung gibt es um Platz sechs. Ferat Koçak von der Abgeordnetenhausfraktion setzt sich mit 113 zu 15 Stimmen durch gegen Daniel Lücking, der für den Bundestagsabgeordneten André Hahn arbeitet. Koçak verspricht, sein Einkommen als Abgeordneter wie bisher schon zu begrenzen. »2500 Euro reichen für mich und meine Familie aus«, sagt er. »Abgehobene Gehälter führen zu einer abgehobenen Politik.«

Dass ihn Listenplatz sechs in den Bundestag bringt, ist ziemlich unwahrscheinlich. Im Moment stellt die Berliner Linke mit Gysi, Pau und Lötzsch nur drei Bundestagsabgeordnete. Koçak versucht aber auch das Kunststück, seinen Wahlkreis in Neukölln zu gewinnen.

»Lasst euch nicht von den Umfragen irre machen. Wir kämpfen bis zum letzten Tag.«

Gregor Gysi Bundestagsabgeordneter
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