nd-aktuell.de / 27.12.2024 / Kultur / Seite 1

Hannelore Hoger: Training für Eisberge

Zum Tod der Schauspielerin Hannelore Hoger

Hans-Dieter Schütt
Immer frohgelaunt: Hannelore Hoger, hier in Hamburg 2022 beim 30. Filmfest der Hansestadt
Immer frohgelaunt: Hannelore Hoger, hier in Hamburg 2022 beim 30. Filmfest der Hansestadt

Kommissare, einige jedenfalls, sagen uns, in welcher Welt wir leben. Das ist im Fernsehbetrieb der hochkonzentrierten Zerstreuung fast schon ein Betriebsvergehen. So viel Traurigkeit im Blick auf die Zustände. So viel Resignation mitten in der Unermüdlichkeit, Recht zu erkämpfen. So viel Erstaunen, dass man selber nicht aufgibt. Die Bella Block der Hannelore Hoger war, im ZDF, so eine Kommissarin der inständig bewahrten Fremdheit inmitten einer frech gewordenen Geläufigkeit von Karriere-Kriminalität, Korruption und Käuflichkeit der höheren Kaste.

Die Hoger verfügte im Spiel über eine bezwingende Kraft der Unaufwändigkeit: Für den Trotz, für die Schroffheit, für die Behauptung von Würde (und klugem Witz!) nahm sie jedes Tempo aus ihrem Spiel. Als trainierte sie im Nebenberuf Grönlands Eisberge in deren lebensnötigen Gabe, dem mürbenden Klima standzuhalten. Gütig eisenhart und messerscharf, gut munitioniert mit einem vernichtenden Schweigen, das sie aus den Abgründen schöpfte. Sie jagte, aber blieb selber Getriebene: Von Leid, Ohnmächtigkeit wurde sie heftiger verfolgt, als sie selber Verbrecher verfolgen konnte.

Der Vater war Schauspieler und Inspizient am Hamburger Ohnsorg-Theater. Sie studierte Schauspiel, arbeitete seit 1960 am Theater, in Ulm, Bremen, Stuttgart, Köln, Berlin, Hamburg. Wurde Alexander Kluge ihr wesentlicher Filmregisseur (»Die Artisten in der Zirkuskuppel: ratlos«, »Deutschland im Herbst«), so war Peter Zadek (mit dem sie eine Weile zusammenlebte) ihr theatralischer Erwecker. Da fand Entscheidendes zusammen: Verderberlust wider alles deutsche Kleinstädtische; fiebriger Ehrgeiz gegen mittlere, laue Temperaturen; Freude an allem, was sich säuselnder Biederkeit in die ordentlichen Wege warf.

Vor Jahren kehrte die Hoger noch einmal zu Zadek zurück: in dessen Inszenierung von Strindbergs »Totentanz« am Wiener Akademietheater. Im Ehehöllendrama (mit Gert Voss als Partner) war sie gleichsam ein Krokodil, das schon Jahrhunderte im Beziehungsschlick ruht, auf die Bissgelegenheit wartend. Ein Gefühlsfossil. Das Warten als Gewalttat, Worte wie Wundschläge. Bezwingend, erschütternd, wie da in einem Panzer, geschmiedet aus Narben der Demütigung und Züchtigung, ein Frauenherz gegen Wände klopfte. Morsezeichen aus dem seelischen Kerker. Alice im Wundenland. Im Beben der Angst schon wissend, dass diese Angst gleich auskühlen wird. Wenn sie ihrem Mann den Tod wünschte, blieb es ein Geheimnis, ob da gierige Vorfreude auf Befreiung oder ein entsetztes Ahnen kommender Einsamkeit den Ton setzte. Was Hoger und Voss an Spannung gegeneinander und miteinander auf die Bühne brachte, war so atemberaubend, so konzentriert, so nadelscharf und frappierend beiläufig, dass man sich die Bühne leer wünschte. Weil man nichts zum Sehen braucht, wo alles Spielen ein einziges wunderbares Erschauen ist. Momente, da Gelegenheit war, wieder einmal fassungslos – also: die gewöhnliche Fassung verlierend – vor Schauspielkunst zu stehen. Nun ist Hannelore Hoger im Alter von 82 Jahren in Hamburg gestorben.