In Leben und Werk des Schriftstellers William S. Burroughs klaffen Zwang und Freiheit weit, weit auseinander. Was wohl daran liegt, vielleicht, dass es ausgerechnet Drogensucht und sexuelle Obsessionen sein sollen, die einen aus Zwängen aller Art befreien werden. Also in beiden Fällen Dinge oder auch Dispositionen, die es so an sich haben, dass sie ihren Träger zwanghaft in den Würgegriff nehmen. Quasi das Gegenteil von Freiheit. Die erste Voraussetzung für allerlei Befreiungsversuche in Borroughs’ 1952 geschriebenem, aber erst 1985 veröffentlichten Roman »Queer« ist ein Ortswechsel. Das Alter Ego des Autors, William Lee, haut ab aus den USA, nach Mexiko City. Hier lässt es sich besser fixen, und Schwulsein fällt leichter.
William S. Burroughs beschreibt in seinem semi-autobiografischen Text eine Suche nach Liebe, die als nicht so kalt und destruktiv gefasst wird, wie man nach dem Lesen der Hauptwerke »Naked Lunch« und »Soft Machine« vielleicht glauben mag, sondern ganz klassisch dunkel-romantisch, als unerfüllte. Und Luca Guadagnino stellt in seiner irgendwie brütenden, sanft überhitzten Verfilmung von »Queer« diesen Aspekt heraus. William Lee, gespielt von James Bond (Daniel Craig), ist ein mittelalter Mann, der den jungen Schwulen der Stadt Geld geben muss, damit er ihnen einen blasen darf. Als er Eugene (Drew Starkey) trifft, ergreift es ihn dann aber ernsthaft, und seine Verliebtheit steigert sich bis zum Wunsch nach Sprachverlust.
William Lee ist auf der Suche nach einer telepathischen Verbindung zum Geliebten, eine Kommunikation, die keine Grenzen und vor allem keine Körpergrenzen mehr kennt. Die Wirklichkeit dieser Beziehung ist wie so oft etwas anders gelagert. Ob Eugene mit Lee ins Bett geht, weil er das möchte, oder weil der ältere Mann ihn finanziell aushält, es wird nie ganz klar, Zuschauerin und Zuschauer nicht und dem unglücklich Verliebten auch nicht.
Guadagnino gelingt es jedenfalls wie auch schon in »Call Me by your Name«, Männer beim Sex so zu filmen, dass Kategorien wie hetero oder homo, die in der Philosophie von Burroughs eh als Kontrollmaßnahmen zu verstehen und zu sprengen wären, latent obsolet werden. Spätestens wenn James Bond das Sperma aus dem Mundwinkel läuft, hat der Film alle Zuschauer*innen, die sich bis zu diesem Punkt noch nicht innerlich verabschiedet haben, auf der Seite seines sehnsüchtigen Helden.
Am Ende dieses sehr schönen und sehr traurigen Drogen-, Sex- und Kunst-Spektakels steht die Sehnsucht nach etwas, was es, vielleicht, gar nicht geben kann.
Das ist nicht für jeden: Die Istanbuler Bezirksregierung hat die Vorführung von »Queer« bei einem Festival im November vergangenen Jahres verboten, der Verleiher Mubi sagte daraufhin das ganze Festival ab. Ein weiterer dieser kulturpolitischen Momente, in dem Zwangsheterosexualität, Repressionsversuch und Dummheit eine nachgerade naturhafte Verbindung eingegangen sind.
In den ersten zwei Dritteln zeigt »Queer« die Suchbewegungen William Lees und seine Sucht und schafft in diesem Zuge ein wirklichkeitsnahes Porträt der queeren Community im Mexiko City der 50er Jahre. Einen realistischen Eindruck, mehr ist es ja nicht, denn man war ja nicht dabei. Das gelingt ihm mit Bildern in gedeckten Farben von Kameramann Sayombhu Mukdeeprom, der schon den Sommer in »Call Me by Your Name« gefilmt hat und hier aufnimmt was er im Slow Cinema von Apichatpong Weerasethakul (»Uncle Boonmee erinnert sich an seine früheren Leben« und vor allem »Memoria«) entwickeln konnte.
Mukdeeprom kann den Dschungel so schön und still aufnehmen wie sonst nur wenige, und in der zweiten Hälfte von »Queer« mutiert der Film zu einem Road Movie. William Lee und Eugene machen sich auf die Suche nach der Yage-Pflanze, einer halluzinogenen Droge, und anders als in der literarischen Vorlage schenkt das Drehbuch von Justin Kuritzkes seinem Helden diese Erfahrung. Anders als im Text finden die beiden Yage, und Guadagnino inszeniert den Rausch als bildgewaltigen Trip, der die Körpergrenzen auflöst, allerdings nicht auf die ersehnte Weise, sondern als Fortführung von David Cronenbergs »Naked Lunch«-Verfilmung.
Guadagninos stellt zuallererst, wie es Jessica Kiang in »Sight & Sound« auf den Begriff gebracht hat, eine Verwandlung des »selbstbewusst abstoßenden Textes« von William S. Burroughs »in eine tragische Fantasie über die Einsamkeit unerwiderter schwuler Liebe« dar. Das tut er aber auch, indem er das Gesamtwerk in intertextuellen Verweisen immer wieder aufruft. Der Burroughs-Kosmos scheint konstant auf: Tausendfüßler, Musik von Nirvana (»What else should I be? / All apologies / What else could I say? / Everyone is gay / What else could I write? I don't have the right«), eine Philosophie, die Sprache als Kontrollagenten versteht und doch ohne sie nicht auskommt. Das ist überhaupt ein Kern dieses Films, der starke Wunsch nach Sprachverlust, und an diesem Punkt verbindet sich das Schreiben von Williams S. Burroughs mit der Körperlichkeit in anderen Filmen von Luca Guadagnino.
Sprache soll hier das sein, was die Menschen trennt, kein Mittel der Verständigung und der Einfühlung, sondern Hindernis für den Verschmelzungswunsch. In Guadagninos Film »Bones and All« wird das kannibalistische Verschlingen zum Inbegriff einer ultimativen Nähe, in seinem »Suspiria«-Remake lösen sich die Figuren gewaltsam in ihren Körper zerlegenden Tänzen auf. »Bones and All« endet mit einem Bild der Einsamkeit, »Queer« auch. Und damit steht dann am Ende dieses sehr schönen und sehr traurigen Drogen-, Sex- und Kunst-Spektakels wieder einmal ganz schlicht die Sehnsucht nach etwas, was es, vielleicht, gar nicht geben kann.
»Queer«: Italien/USA 2024. Regie: Luca Guadagnino. Drehbuch: Justin Kuritzkes. Mit Daniel Craig, Drew Starkey, Lesley Manville. 137 Minuten, Start: 2. Januar