Es war ein Novum in Sachsen: Gleich vier Bürgerentscheide standen in Neukieritzsch bei Leipzig im Februar zur Abstimmung. Eine Bürgerinitiative wollte verhindern, dass in der bisher von der Braunkohle geprägten Region ein neuer Solarpark sowie Stromspeicher und Anlagen zur Wasserstoffproduktion errichtet werden. Sie fürchtete Beeinträchtigungen beim Naturschutz und den Verlust von Ackerflächen. Die Mehrheit derjenigen, die ihre Stimme abgaben, teilte die Bedenken. Allerdings fehlten am Ende 152 Ja-Stimmen, um das gesetzlich vorgeschriebene Quorum von 25 Prozent plus einer Stimme zu erfüllen. Die Bürgerentscheide scheiterten.
Neukieritzsch steht damit exemplarisch für die Licht- und Schattenseiten beim Thema direkte Demokratie in Sachsen[1]. Einerseits, lobte der Verein »Mehr Demokratie« in einer Jahresbilanz, werde das Instrument immer häufiger genutzt. Im abgelaufenen Jahr gab es im Freistaat 23 Bürgerbegehren und -entscheide, so viele wie zuletzt 2011. Im Jahr 2023 waren es 15, 2018 gab es nur zwei.
Den Grund für das steigende Interesse sieht der Verein darin, dass bei einer Reform der Gemeindeordnung 2022 eine entscheidende Hürde gesenkt wurde. Zuvor brauchte ein Bürgerbegehren die Zustimmung von zehn Prozent der Stimmberechtigten, jetzt sind es fünf. Das scheine zu wirken, sagte Frank Rosberger, Sprecher von Mehr Demokratie in Sachsen. Die jüngsten Zahlen zeigten, dass »die Bürger vor Ort mitentscheiden wollen«.
Allerdings beklagt der Verein, dass in Sachsen überdurchschnittlich viele Bürgerbegehren für unzulässig erklärt würden. Mit 60 Prozent liegt die Quote mehr als doppelt so hoch wie im Bundesdurchschnitt. Das könne bewirken, dass »der Frust steigt, obwohl mehr Beteiligung möglich ist«, erklärt Mehr Demokratie und verlangt Nachbesserungen im Gesetz, etwa die Abschaffung des bisher verlangten Kostendeckungsvorschlags. Auch solle es vor Beginn der Unterschriftensammlung eine formale Prüfung geben, um späterer Enttäuschung vorzubeugen.
Sachsens neue Koalition hat angekündigt, die Nutzung der direkten Demokratie im Freistaat »erleichtern« zu wollen. Konkret erwähnt wird in dem im Dezember vorgelegten Koalitionsvertrag von CDU und SPD aber nur die Möglichkeit, Bürgerbegehren künftig digital unterschreiben zu können. Weitere Erleichterungen oder gar ein eigenes Gesetz für direkte Demokratie auf kommunaler Ebene, wie es Mehr Demokratie unter Hinweis auf Thüringen empfiehlt, sind nicht vorgesehen.
»Unzulässige Verfahren können dafür sorgen, dass der Frust steigt, obwohl mehr Beteiligung möglich ist.«
Mehr Demokratie Sachsen Jahresbilanz
Noch unambitionierter ist die Koalition, wenn es um Bürgerbeteiligung auf Ebene des Freistaats geht. Dort sind die Hürden für direkte Demokratie so hoch wie in keinem anderen Bundesland[2]. Für ein erfolgreiches Volksbegehren müssen 450 000 Bürger unterschreiben, was 13,2 Prozent der Wahlberechtigten entspricht – dreimal so viele wie in Schleswig-Holstein. Die Folge: In Sachsen gab es bisher nur vier Volksbegehren; eines mündete 2001 in einem neuen Sparkassengesetz. Das vorgelagerte Instrument des Volksantrags immerhin war zuletzt im vergangenen Sommer erfolgreich, als 55 000 Bürger für fünf Tage Bildungsurlaub unterschrieben[3]. Auch hier liegt die Hürde mit 40 000 vergleichsweise hoch.
Die Vorgänger-Koalition aus CDU, Grünen und SPD hatte einen Anlauf unternommen, die Quoren annähernd zu halbieren. Der Vorstoß war Teil einer Verfassungsreform, die aber im Frühjahr scheiterte[4] – ein »verheerendes Signal«, wie Mehr Demokratie klagte. Die neue Minderheitsregierung strebt beim Thema Volksgesetzgebung allenfalls »Verfahrensvereinfachungen« an, wie es im Koalitionsvertrag heißt. Ein erneuter Anlauf für eine Änderung der Verfassung ist nicht absehbar und könnte von der AfD und dem Einzelabgeordneten der Freien Wähler auch blockiert werden.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1187915.direkte-demokratie-sachsen-wollen-oefter-mitbestimmen.html